St. Sebastianus-Schützenbruderschaft
Mindestens ab 1460 bis zu den Umwälzungen der Französischen Zeit existierte in Zons eine St. Sebastianus-Schützenbruderschaft als Vorläufer der heutigen St. Hubertus-Schützengesellschaft. Als mitgliederstarke Vereinigung spielte sie in der Frühneuzeit eine bedeutende Rolle für die städtische Einwohnerschaft. Kurfürst Clemens August wurde zweimal, 1739 und 1744, deren Schützenkönig.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Zur Geschichte der Vereinigung vor 1700
- 2 Religiöses
- 3 Weltliches
- 4 Statuten, Vorstand und Finanzen
- 5 Die Mitglieder
- 6 Der Untergang der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft
- 7 Anhang
- 8 Belege
Zur Geschichte der Vereinigung vor 1700
Eine Spur zum frühesten Beleg für eine Schützenvereinigung in Zons scheint auf den ersten Blick über das Jahr 1948 zu führen. In diesem Jahr feierte die heutige St. Hubertus-Schützengesellschaft ihr 50-jähriges Bestehen. Anknüpfend an die ältere Zonser Brauchtumstradition hatte man sich nach dem Zweiten Weltkrieg den Namen "St. Sebastianus-Hubertus-Schützenbruderschaft" gegeben. Mit dem 50-jährigen Vereinsjubiläum wurde gleichzeitig das 500-jährige Bestehen der Zonser St. Sebastianus-Schützenbruderschaft gefeiert, die somit in das Jahr 1448 datiert wurde.
Dieses Datum ist jedoch nicht historisch belegt, sondern entsprang einzig dem Wunsch, auf eine "runde" Jahreszahl zu kommen: Auf der noch erhaltenen Bruderschaftsfahne, die wenige Jahre nach dem Jubelfest in Auftrag gegeben wurde, findet sich daher die etwas merkwürdige Angabe "um 1448". Tatsächlich ist die bisher älteste nachweisbare Quelle erst aus dem Jahr 1460, also 12 Jahre jünger. Zwar kann man einwenden, dass der Verein nicht unbedingt in dem Jahr gegründet worden sein muss, auf das sich der älteste Beleg bezieht, und häufig ist das auch nicht so, doch alles darüber Hinausgehende bleibt so lange bloße Spekulation, bis sich entsprechende Quellen finden, auch bei einem so kurzen Zeitraum von "nur" 12 Jahren.
Die bislang früheste Erwähnung einer Schützenvereinigung in Zons findet sich in den städtischen Aufzeichnungen zur Akzise. Dies war eine Verbrauchssteuer, die in Zons in erster Linie für Arbeiten an der Stadtbefestigung verwendet wurde. 1460 erhielten die Zonser Schützen auf Veranlassung der Amtsleute aus dieser Kasse den nicht geringen Betrag von drei Gulden und einer Mark geschenkt, da sie sich an einem "Schießspiel" in Knechtsteden beteiligen wollten.[1] Bereits 1461/62 bekamen die Schützen und die Vereinigung erneut einen Geldzuschuss aus der Kasse, diesmal einen Gulden aus Anlass des Vogelschießens.[2] Eine mehrjährige Pause für die Vereinigung, zumindest im Hinblick auf das Vogelschießen, hat vermutlich der große Zonser Stadtbrand 1464 verursacht, denn es ist erst 1476/77 wieder in den Akzise-Aufzeichnungen von den Schützen die Rede. In diesem Jahr wurden sie sogar gleich mehrfach finanziell unterstützt: Einmal erhielten sie drei Mark für das Schießen nach dem "papagey", wobei es sich wohl um das städtische Königsvogelschießen handelte. Und "up Sent Bastianus Dach" (am Tag des hl. Sebastianus) gab man ihnen vier Mark. Schließlich erhielt auch der Schützenkönig nach dem Abschuss des "Papagey" noch einen Geldzuschuss in Höhe von 3 Mark.[3]
Diesen wenigen Notizen können wir ein paar wesentliche Punkte entnehmen: Mindestens seit 1460 gab es in Zons eine Schützengilde. Sie scheint recht aktiv gewesen zu sein, denn sie veranstaltete nicht nur das jährliche Königsvogelschießen, sondern Mitglieder nahmen auch an auswärtigen Schießwettkämpfen teil. Zugleich hatte die Vereinigung religiösen Charakter: Man feierte gemeinsam den Tag des heiligen Sebastianus, des Vereinspatrons. Die Obrigkeit stand dieser Schützenbruderschaft mit Wohlwollen gegenüber und unterstützte sie finanziell.
Von 1476/77 bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist die Quellenlage äußerst dürftig, was sich sicherlich zum Teil mit den schweren Stadtbränden 1547 und 1620 erklären lässt. Es ist davon auszugehen, dass die kriegerischen Ereignisse und die Seuchenzüge des 16. und 17. Jahrhunderts das Schützenbrauchtum und den Anreiz zu Festveranstaltungen und Gelagen zeitweilig unterdrückten. Das Bruderschaftsleben hat währenddessen mit einiger Sicherheit kaum gelitten, möglicherweise sogar profitiert, gehen belebende Impulse doch gerade aus der Not hervor. Somit sicherte die Bedeutung als Bruderschaft das Weiterbestehen der Vereinigung.
Erst in einer Wachtordnung aus dem Jahr 1560 tauchen die Sebastianus-Schützen wieder in den Quellen auf – nur 13 Jahre nach dem zweiten schweren Stadtbrand. Die nächste Erwähnung datiert in das Jahr 1658.[4] In die Zwischenzeit fallen eine Reihe von Ereignissen, die wahrscheinlich nicht ohne Einfluss auf die Schützenbruderschaft waren: der Truchsessische Krieg 1583-1588, der dritte schwere Stadtbrand 1620, Pestepidemien 1623 und 1635 und schwere kriegerische Belastungen 1642-1648. 1648 zählte Zons zusammen mit Stürzelberg nur noch gerade mal 221 steuerpflichtige Einwohner. Die Erwähnung der Sebastianus-Schützen 1658 fällt also in eine Phase, in der sich die Zonser Bevölkerung allmählich von den schweren Belastungen erholte. Einige Neubürger kamen in die Stadt. Doch währte diese Erholungsphase nicht lange: Bereits 1666 folgte eine erneute Bevölkerungskrise in Form einer Pestepidemie: 255 Personen starben in diesem kurzen Zeitraum von 12 Monaten. Aber die Schützen hat dies offenbar weniger beeinflusst als man vermuten könnte: Sie feierten bereits 1667 wieder ihr Königsvogelschießen. Doch ist aufgrund der Schriftquellen zu vermuten, dass die Vereinigung erst seit etwa 1710 ohne größere Unterbrechungen jährlich das Königsvogelschießen veranstalten konnte. Vor allem die verstärkten Truppenaktivitäten um die Jahrhundertwende in und um Zons, verbunden mit Kontributionsforderungen und Einquartierungen, werden bis dahin negativ auf das Vereinsleben eingewirkt haben.
Im Vergleich zu den vorhergegangenen Jahrhunderten war das 18. Jahrhundert bis zur französischen Herrschaft insgesamt gesehen eher eine relativ ruhige Zeit für die Zollfeste, die von einem nahezu kontinuierlichen Bevölkerungswachstum und sicherlich auch von einem in gleicher Weise florierenden (Schützen-)Vereinsleben geprägt war.
Religiöses
Das Sebastianus-Patronat
Der Name Sebastianus kommt aus dem Griechischen und bedeutet "der Erhabene". Berichte über das Leben des Heiligen sind erst aus dem 5. Jahrhundert überliefert und bereits deutlich von der Legendenbildung beeinflusst. Geboren im dritten nachchristlichen Jahrhundert in Narbonne, im heutigen Frankreich, wuchs Sebastianus in Mailand auf und kam dort in Berührung mit der christlichen Lehre, die ihn so sehr prägte, dass er zu ihrem eifrigen Anhänger wurde. Schon früh übte auch das Militärwesen auf ihn eine große Faszination aus. Er schlug deshalb die militärische Laufbahn ein und wurde schließlich in Rom zum Befehlshaber der prätorianischen Leibwache des Kaisers ernannt. In diesem Posten schien er zunächst den hohen Erwartungen gerecht zu werden. Er nutzte jedoch seine Möglichkeiten, um gefangenen Christen zu helfen. Und als unter Diokletian (284-305) die Christenverfolgungen deutlich verschärft wurden, klagte man ihn wegen seiner Haltung den Christen gegenüber an und sprach sein Todesurteil aus.
Im flavischen Theater (Kolosseum) wurde er von numidischen Bogenschützen so lange beschossen, bis er schwer verletzt niedersank und man ihn für tot hielt. Die heilige Witwe Irene wollte sich um sein Begräbnis kümmern, erkannte jedoch, dass er noch am Leben war, und nahm ihn mit nach Hause, wo sie ihn gesund pflegte. Der Geheilte ging darauf zu Diokletian, um ihm öffentlich Vorwürfe wegen der Christenverfolgungen zu machen. Der Kaiser war zutiefst erschrocken, den ehemaligen Befehlshaber lebendig zu sehen, und gab den Befehl, ihn in der Arena totzuschlagen. Nachdem dies geschehen war, wurde der Leichnam in der nahegelegenen Kloake versenkt. Dort sollte er jedoch nicht seine letzte Ruhe finden, denn einer frommen Christin namens Lucina war Sebastianus im Traum erschienen, und sie begrub ihn an einer Stelle der Via Appia, die er ihr im Traum genannt hatte. An genau dieser Stelle ließ Papst Damasus I. 367 die noch heute bestehende Kirche bzw. Basilika San Sebastiano errichten, die eine der sieben Hauptkirchen Roms ist.
Bereits im 7. Jahrhundert wurde Sebastianus als Patron gegen die Pest verehrt, und so entstanden zahlreiche Sebastianus-Pestbruderschaften. Manchmal gingen auch Schützenvereine aus einer solchen Bruderschaft hervor. Mit seinem militärischen Werdegang und seinem Martyrium durch Pfeilschüsse zusammenhängend, stand er auch bei Soldaten und Schützen, vor allem den Bogenschützen, in hoher Verehrung. Er galt als Vorbild des Offiziers, und man erblickte in ihm das "Sinnbild aller soldatischen Tugenden"[5]. Sein engagiertes Eintreten für die Christen war der Grund dafür, dass die Gläubigen ihn auch bei Ketzerei und Religionsfeindschaft anriefen. Hilfe er hoffte man sich von ihm besonders bei Viehseuchen. Wegen dieser vielfältigen Bedeutungen ist der heilige Sebastianus bis heute einer der bekanntesten und am häufigsten dargestellten Märtyrer. Sein Fest wird seit 354 am 20. Januar gefeiert.
In der Zonser Pfarrkirche St. Martinus erinnert heute nur noch ein Gemälde an die Verehrung des Heiligen durch die ehemalige Schützenbruderschaft. Es stammt aus dem 18. Jahrhundert und zeigt Sebastianus, wie er mit Pfeilen beschossen wird. Dieses und das ebenfalls erhaltene Gemälde "heilige Familie" waren bis 1821 die Altarbilder der Seitenaltäre. Als man die Altäre 1825 wegnehmen wollte, fielen sie in sich zusammen, so sehr waren die Holzteile bereits von Würmern zerfressen. Beide bestanden jeweils aus einem steinernen Altartisch und zwei Säulen mit einem darüber befindlichen Gesims aus Holz.[6]
Einer der Seitenaltäre dürfte der Sebastianus-Altar der Schützenbruderschaft gewesen sein. Es ist belegt, dass die Bruderschaft um 1705 unter Brudermeister Heinrich Cratz einen neuen Sebastianus-Altar errichten ließ, vermutlich weil der alte unbrauchbar geworden war.[7] Die Vereinigung kümmerte sich selbstverständlich auch um nötige Reparaturen am Altar. So ließ sie ihn beispielsweise 1751, als einige Ausbesserungsarbeiten in der Pfarrkirche durchgeführt wurden, aus eigenen Mitteln anstreichen und renovieren.[8] Vermutlich besaß die Bruderschaft bereits sehr früh einen eigenen Altar in der Pfarrkirche, wenn auch der älteste entsprechende Beleg erst aus dem Jahr 1662 ist.[9]
Der Sebastianus-Altar war in Notzeiten und insbesondere bei Viehseuchen eine wichtige Anlaufstation für die Gläubigen. Sie opferten Kerzen zur Abwendung des Unheils. Als beispielsweise 1748 in Zons und Umgebung über viele Monate eine schwere Viehseuche herrschte, so berichtet der Zonser Küster Schwieren, ist der Altar "ein gantzes Jahr lang im Ziehrat [...] stehen geblieben, worauff die Leuth durchß Jahr ville Unschlichtß-Kertzen und Wachß-Kertzen auffgeopffert haben".[10]
Wie der Altar ist heute auch ein Standbild nicht mehr vorhanden, das den von Pfeilen getroffenen Sebastianus zeigte. Es wird in einer Zusammenstellung der Heiligen-Reliquien der Pfarrkirche aus dem Jahr 1668 genannt.[11]
Die Bruderschaft
Die ursprünglich aus den Gebetsverbrüderungen der Klöster hervorgegangenen Bruderschaften haben ihr eigentümliches Wesen in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters entwickelt. Zunächst verstand man unter "Bruderschaften" noch neutral Vereinigungen aller Art, die religiöse Bedeutung setzte sich erst allmählich durch. Vor allem in den Städten, später auch in ländlichen Gebieten trugen die Bruderschaften wesentlich zur Religiosität bei. Ihre Zahl konnte unter Umständen sehr hoch sein. So gab es beispielsweise in Köln Anfang des 16. Jahrhunderts nicht weniger als 80 Bruderschaften.
Solche Vereinigungen bildeten sich nicht immer als freier Zusammenschluss, sie konnten auch aus einer Zunft, Gilde oder einer anderen Organisation hervorgehen. Ein wesentliches Merkmal ist die Bindung an besondere Heilige, wobei es sich auch um Standes- und Berufspatrone handeln konnte. Am Tag des Bruderschaftspatrons fand der Hauptgottesdienst statt. Wie an den anderen Sonn- und Feiertagen oder beim Tod eines Mitgliedes stellte man an diesem Tag eine Kerze auf den Bruderschaftsaltar. Doch die Aktivitäten beschränkten sich nicht nur auf die gemeinsamen Gebete. Wesentlich für die meisten Bruderschaften waren auch sozial-karitative Betätigungen wie beispielsweise Krankenpflege und Totenbestattung. Ferner taten sich die Vereinigungen häufig als Veranstalter oder Förderer von Wallfahrten hervor. Nicht selten waren die Bruderschaften durch Stiftungen und Mitgliedsbeiträge sehr vermögend in Form von Landbesitz und Bargeld. Dies setzte eine besondere Organisation voraus, die sich in erster Linie an den Zünften und Gilden orientierte. Die Aufsicht über eine Bruderschaft übte in den Städten in der Regel der Rat aus. Bei ihm musste auch die Gründungsgenehmigung eingeholt werden.
Wie in anderen Städten gab es auch in Zons mehrere Bruderschaften. Neben der Sebastianus-Schützenbruderschaft gab es eine St. Antoniusbruderschaft, die 1466 gegründet wurde. Sie war zunächst eine reine Zunftbruderschaft der Schneider und öffnete sich wohl erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts auch für andere Interessenten. Ihre Mitgliederzahl war deutlich geringer als die der Sebastianus-Schützenbruderschaft (1715: 68 Personen, 1790: 176 Personen). Es sei am Rande bemerkt, dass bei der Antonius-Bruderschaft im 18. Jahrhundert eine besonders simple Form der Geldwirtschaft festzustellen ist: Der Überschuss wurde regelmäßig nach der heiligen Messe am Antoniustag in Bier vertrunken.[12] Die Bruderschaft existierte sogar noch nach dem Zweiten Weltkrieg mit über hundert Mitgliedern.[13]
Wie die St. Antoniusbruderschaft und die St. Sebastianus-Schützenbruderschaft wird in den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts (1469) erstmals eine andere Bruderschaft genannt: "Unserer Lieben Frau". Die Vereinigung, die großen Landbesitz hatte, ging in der Französischen Zeit unter. Im 19. Jahrhundert und um die Wende zum 20. Jahrhundert kam es in Zons zur Gründung einiger neuer Bruderschaften und religiöser Vereine.[14]
Die Sebastianus-Schützenbruderschaft war mit Sicherheit mindestens im 18. Jahrhundert, wahrscheinlich aber bereits sehr viel länger, im Hinblick auf ihre Mitgliederzahl die bedeutendste Zonser Vereinigung. Da ihr ein relativ großer Teil der Zonser Bevölkerung angehörte, vollzog sich das religiöse Leben der Stadt nicht unwesentlich über die Vereinigung. Der Hauptfeiertag der Bruderschaft war nicht der Tag des Königsvogelschießens, sondern der Sebastianustag, also der 20. Januar. Dieser Tag lief teils nach bestimmten, in den Statuten festgelegten Regeln, zum Teil aber auch nach ungeschriebenen Gewohnheitsregeln ab. Die erhaltenen Schriftstücke vermitteln recht anschaulich, wie dies im 18. Jahrhundert aussah:
Am Sebastianustag fand morgens ein Hochamt zu Ehren des Patrons statt. Alle Vorstandsmitglieder und die anderen Schützenbrüder mussten hierzu den Schützenkönig abholen. Diesem wurde zuvor vom Bruderschafts-Fähnrich und einem anderen verlässlichen Bruder die kostbare Königskette überreicht, die er bei der Messe zu tragen hatte. Die Auflagen bezüglich der Anwesenheit beim Festhochamt waren sehr streng: War der Schützenkönig ohne guten Grund nicht mit der Königskette geschmückt anwesend, musste er der Bruderschaft eine halbe Ahm (ca. 71 l) Bier schenken. Wenn ein anderes Mitglied ohne schwerwiegenden Grund der Messe fernblieb, musste es der Vereinigung ein halbes Pfund (ein Pfund entsprach damals knapp 500 g) Wachs (für den Sebastianus-Altar) schenken. Der Brudermeister konnte die Anwesenheit anhand des Bruderschaftsbuches überprüfen, das er auch in der Kirche mit sich führte.[15] Das gemeinschaftliche gottesdienstliche Feiern war nach dem allgemeinen Selbstverständnis dieser Vereinigungen sehr wichtig. Daher erklärt sich diese strenge Haltung. Nach dem Ende des Sebastianus-Hochamtes wurde der Schützenkönig wieder von den Brüdern nach Hause begleitet. Dort nahm man ihm die Königskette wieder ab, um sie an einen vom Vorstand bestimmten sicheren Ort zu bringen.
Später im Laufe des Tages fand dann ein Brudermahl oder Gelage statt, zu dem die Bruderschaft satzungsgemäß zwei Ahmen Bier (ca. 284 l) beizusteuern hatte. Hieran nahmen selbstverständlich auch die weiblichen Mitglieder teil. Im Anschluss an die Sebastianus-Messe verkündete der Pfarrer von der Kanzel, wo die erste Maß (1,31 l) Bier abzuholen war, und bemerkenswerterweise hatten die Frauen diese satzungsgemäß zu holen. Dies scheint in Anbetracht der geringen Menge eine Art "Eröffnungsritus" (ähnlich dem Fassanstich zum Oktoberfest) gewesen zu sein. Die Tagesration wurde von der Bruderschaft bis gegen Ende des Jahrhunderts – wohl in erster Linie wegen der steigenden Mitgliederzahl – über zunächst 2,5 Ahmen auf 3 Ahmen erhöht. Das Brudermahl diente jedoch nicht nur dem geselligen Beisammensein. Es ging dabei auch um die Besprechung wichtiger Vereinsangelegenheiten, und im 17. Jahrhundert ist dies noch der Termin für die jährliche Rechnungslegung gewesen. Am Sebastianustag kümmerte man sich auch in besonderer Weise um den Bruderschafts-Altar. So wurden die Bruderschaftskerzen erneuert und drei Pfund Unschlitts-Kerzen "umb das Todtengebär" aufgestellt und angezündet.[16]
Wie es bei den meisten Bruderschaften üblich war, war das Totengedächtnis ein wesentlicher Zweck der Vereinigung. Neben dem jährlichen Sebastianus-Hochamt und einer Messe am Tag des Königsvogelschießens fand einmal monatlich, nämlich jeweils am ersten Tag des Monats, eine Messe für die Verstorbenen der Bruderschaft statt, die der Pfarrer jeweils am Sonntag zuvor bei der Messe von der Kanzel bekanntgeben musste. Bis 1662 hatte man eine solche Gedächtnismesse nur einmal jährlich abgehalten. Seinerzeit erkannte man jedoch, dass dies die Mitglieder wenig zufriedenstellte und "zu Verkleinerung der löblicher Bruderschaft gereichen thuet". Die Messe wurde in Form einer Stillen Messe ("Leeß-Meeß") vor dem Sebastianus-Altar abgehalten. Nach dem Evangelium wandte sich der Geistliche zum Altar, um mit den Anwesenden ein andächtiges Gebet für die Verstorbenen zu halten. Für Lichter, Weihrauch usw. erhielt die Kirche von der Bruderschaft einen Taler. Pfarrer und Küster bekamen für ihre jährliche Mühewaltung jeweils zwei Tage vor Sebastianus ein bestimmtes Gehalt.[17] Zu den Aufgaben des Küsters zählte es auch, jeweils die Beerdigung eines Bruderschaftsmitglieds bekanntzumachen: 1672/73 erhielt er pro Ankündigung 8 Albus aus der Vereinskasse.[18]
Vermutlich begleiteten die Zonser Schützen auch Prozessionen zum Schutz der mitgeführten Kirchenschätze, wie es auch in anderen Orten üblich war und noch heute ist. Eine Rechnung der Bruderschaft von 1709/10 nennt Ausbesserungsarbeiten an einer "Bruderschafts-Fackel" an Fronleichnam ("Gottesdracht").[19] Die Schützenbruderschaft nahm also auch am Fronleichmanszug teil.
Weltliches
Freischießen und Schießübungen
In der Frühen Neuzeit waren Freischießen bei den Schützengilden sehr verbreitet. Der Name leitet sich von dem Umstand ab, dass zu diesen Wettschießen jeder zugelassen war, der eine bestimmte Einlage entrichtete. Die Schützenvereinigung, die für die Veranstaltung verantwortlich zeichnete, lud in Form sogenannter Ladebriefe Auswärtige ein. Der Anreiz zur Teilnahme war häufig groß, denn in der Regel winkten recht ansehnliche Preise. Zweifelsohne war die Veranstaltung – wie das Königsvogelschießen – vor allem freundschaftlich und vergnüglich. Die Obrigkeit erkannte schon früh die Bedeutung dieser Wettkämpfe zur Pflege und Förderung freundnachbarlicher Beziehungen.
Bei dem erwähnten Schießspiel in Knechtsteden 1460, an dem Zonser Schützen teilnahmen, handelte es sich offenbar um ein solches Freischießen. Die Städte legten damals selbstverständlich Wert darauf, bei diesen Schießwettkämpfen mit möglichst vielen und erfolgreichen Schützen vertreten zu sein. Deshalb gab die Obrigkeit nicht selten Bürgern, die sich beteiligen wollten, Geld für die Fahrt und die Einlagen. Und so erhielten auch die Zonser Schützen für die Teilnahme an dem Schießwettkampf in Knechtsteden eine finanzielle Unterstützung, und zwar drei Gulden und eine Mark aus der Akzisekasse. Leider ist nicht überliefert, wie erfolgreich die Zonser bei dem Wettschießen waren. Wesentlich ist jedoch die Feststellung, dass solche Wettkämpfe nicht nur in den großen Städten veranstaltet wurden, sondern auch in deutlich kleineren Orten. Es ist also auch durchaus denkbar, dass die Zonser Schützen ebenfalls Freischießen veranstalteten.
Auf die großen Wettkämpfe bereiteten sich die Mitglieder der Schützengilden in ihren regelmäßigen Schießübungen an der Vogelsrute vor. Dies diente in besonderer Weise auch der Freizeitgestaltung. Es ist leider nicht festzustellen, wie häufig die Zonser Schützen Übungsschießen abhielten. Der Zonser Küster Schwieren erwähnt verschiedene Schießübungen, die aber allesamt durch die ausgesetzten Preise eher den Charakter von kleinen Wettschießen hatten. Vermutlich ist jedoch eine klare Trennung schwierig.
Am 1. Juni 1738 trafen sich die Junggesellen vor dem Feldtor, um den Vogel von einer Linde herabzuschießen. Den Preis, einen neuen Hut, gewann der Glaser Wilhelm Heinrich Meyer.[20] Wenige Wochen später, am 22. Juni, gingen die beiden Junggesellen Franz Schullmeister und der vorherige Gewinner erneut vor das Feldtor, um allein den Vogel von einem Baum, diesmal einer Esche, herabzuschießen. Auch hierbei hatten die beiden einen neuen Hut, und zwar im Wert von 12 Schilling, als Preis festgesetzt. Beide waren jedoch trotz größter Bemühungen nicht in der Lage, den Vogel herunterzuschießen. Der Zollkontrolleur und amtierende Schützenkönig Heribert Endenich, der dem Treiben wohl eine Weile zugesehen hatte, "hatt sich […] [schließlich] ihrer erbärmt und den Vögel abgeschossen". Damit gewann er den neuen Hut und schenkte ihn seinem Knecht.[21]
Knapp ein Jahr später, am 24. Mai 1739, veranstaltete dann auch der Schützenkönig Heribert Endenich ein Wettschießen. Es fand an der neuen Vogelsrute nahe dem Rheintor statt. Als Preis hatte Endenich ein Essbesteck aus Messern und Gabeln ausgesetzt. Für die Teilnahme waren zwei Stüber zu zahlen. Sieger wurde Johannes Schimmelpfennig. Der Veranstalter zeigte sich nach dem Wettkampf spendabel und gab das eingenommene Geld im Gast- und Brauhaus "Zum Anker" in der Rheinstraße (an der Ecke zur heutigen Mauerstraße gelegen) für die Teilnehmer "zum besten".[22]
Am 13. September 1751 nahm der Amtmann höchstpersönlich an einem Vogelschießen teil und ging aus dem Wettbewerb auch als Sieger hervor. Er fand daran wohl großen Gefallen, denn drei Tage später schoss man erneut einen kleinen Vogel, und wieder siegte der Amtmann. Weitere zwei Tage später ließ er dann zum dritten Mal einen Vogel abschießen, um zu erfahren, "ob auch gute Schützen alhier in Zonß wären". Als Pfänder auf Kopf und Schweif setzte er jeweils 40 Albus, auf jeden Flügel 20 Albus fest – mehr als beim gewöhnlichen Königsvogelschießen. Für eine feierliche Atmosphäre sorgte ein Trommler, der mit zwei Reichstalern entlohnt wurde. Sieger wurde ein Junggeselle namens Wilhelm Schmitz. Er bekam vom Amtmann einen vergoldeten Silberbecher von 32 Lot (ca. 468 g) Gewicht im Wert von 30 Reichstalern. Im Anschluss spendierte der Amtmann den Schützenbrüdern noch eine halbe Ahm (ca. 71 l) Bier.[23]
Beim Königsvogelschießen am 5. November 1752 wurde Heribert Endenich Schützenkönig, der stellvertretend für den Amtmann geschossen hatte. Die Jungfrauen, die ihm den Kranz aufsetzten, erhielten von ihm 4 Golddukaten.[24] Genau eine Woche später, am 12. November, veranstaltete der Amtmann selbst ein Wettschießen und spendierte das Preisgeld von 5 Golddukaten. Sieger wurde der Zonser Bürger Franz Hehnen.[25]
Die "Vogels-Ruthe"
Nach den Aufzeichnungen des Zonser Küsters Johannes Peter Schwieren ist der Vogel von den Sebastianus-Schützen jahrhundertelang vom Rheinturm heruntergeschossen worden. Das Domkapitel hatte dies also lange toleriert, aber 1738 wollte es dies "nit mehr [...] leyden". Eine durchaus verständliche Position, denn welcher Stadtherr lässt schon gerne zu, dass eines der wichtigsten Gebäude für den Zoll von den Brauchtumshütern regelmäßig feierlich beschossen wird? 1738 gab das Domkapitel deshalb offenbar auf eigene Kosten eine Vogelsrute für die Zonser Schützenbruderschaft in Auftrag. Das dafür nötige Holz wurde im Worringer Bruch geschlagen. Ein Zimmermann des Domkapitels fertigte die Vogelsrute noch in Worringen, und sie wurde schließlich am 3. März von dortigen Einwohnern nach Zons gebracht.[26] Das Domkapitel ließ sie auf dem Wall nahe dem Rheintor aufstellen. Laut der Pfarrchronik trug diese Stelle noch um 1900 den Namen "Vogelsrut", und das entsprechende Grundstück soll 1904 von der Stadt an den Wirt Johann Hahn ("Zum Volksgarten") verkauft worden sein.[27] Wahrscheinlich handelt es sich um die Parzelle, auf der heute das Haus Parkstraße 3 steht. Diese Lage des Schießplatzes in der Nähe der Stadtmauer ist recht typisch für die damalige Zeit, denn das Schießen war hier nicht mit besonderen Gefahren verbunden.
Für Übungs- oder kleinere Wettschießen improvisierten die Schützen aber nach wie vor gelegentlich. Wie schon erwähnt, wurde der Vogel noch 1738 von den Junggesellen einmal von einer Linde und einmal von einer Esche vor dem Feldtor geschossen. Zu diesem Zeitpunkt stand die neue Vogelsrute aber wahrscheinlich bereits.
Problematisch war es hingegen für die großen Wettschießen, wenn die Vogelstange durch Witterungseinflüsse o.ä. unbrauchbar geworden war und nicht rechtzeitig erneuert werden konnte. Das zeigte sich beim Königsvogelschießen am 18. Mai 1749: Da keine funktionstüchtige Vogelsrute vorhanden war, schossen die Brüder den Vogel notdürftig von einem Flügel der Windmühle, und zwar vor der Stadt stehend.[28] Erst 1751 konnten sie den Vogel wieder von einer "gantz aus dem Fundament new aufgerichteter Ruhden" schießen.[29] Die neue Vogelstange hatte man aus Eiche hergestellt und glattgehobelt, wie der Bruderschaftsrechnung des Jahres 1750/51 zu entnehmen ist.[30] Die Kostenzusammenstellung macht deutlich, mit welchem Aufwand an Arbeit, Geld und Material der Bau einer solchen Schießstange verbunden war:
- Erstlich zur Außwerfung deren zur Vogels-Ruthen verbrauchten 4 Eichen-Bäume 64 Alb.
- item vor 3 Stöck abzuschneiden zahlt 30 Alb.
- item vor 18 Fuß [ca. 5 m] Holtz weißen zu laßen 72 Alb.
- item vor 75 Schantzen zu machen zahlt 18 Alb.
- item von einem Bloch abzuhawen zahlt 8 Alb.
- noch vor 4 Fuß [1,15 m] Holtz zu weißen 26 Alb.
- noch vor 18 Schantzen zu machen 5 Alb. 4 Hl.
- ferners setze für die Außgängen mit den was zwischen Weegen mit dem Zimmerman verzehrt und sonsten dem Brudermeister mitgegeben haben 2 Rthlr.
- item hab 6 Knechten und 14 Pferth, so bey den 3 Waagen gewesen, mit Kost und Dranck verpfleget, rechne vor jeden Knecht ahn Eßen 10 Alb., fac. 60 Alb.
- ahn Bier verzehrt worden 20 Maaßen [ca. 26 l], facit 53 Alb. 4 Hl.
- jedem Pfert ½ Viertell Haber, pro Viertell 8 Stüber, facit 64 Alb.
- item dem Caspar Wieler zu Horrem zahlt vor 2 Blöcher hiehinzubringen 4 Rthlr.
- item dem Zimmerman ahn Arbeittslohn zahlt 9 Rthlr.
- item haben die Brüder bey Auffrichtung der Vogelsruthen gedruncken 30 Maaßen [ca. 40 l] Bier, facit 1 Rthlr.
- --------------------------------
- 21 Rthlr. 8 Hl.
Bloch, Blöcher: schwerer, aus einem Baumstamm gehauener Balken (Block, Blöcke)
Schantze: Holzbündel
Die Vogelsrute wurde diesmal jedoch nicht auf dem Wall aufgerichtet, sondern in größerer Entfernung von der Zollfeste in der Flur "Kleines Strohfeld", unweit der Antoniuskapelle. Diese Standortwahl brachte besonders wegen des längeren Laufweges durch unbewohntes Gebiet Unannehmlichkeiten mit sich. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Schützenbrüder wenig später wieder zum ursprünglichen Standort zurückwechselten.
1770 gab es heftige Auseinandersetzungen um die Vogelsrute. Die Schützenbruderschaft und ein Großteil der Einwohner waren in Streit mit dem Magistrat geraten. Dieser hatte im Frühjahr eigenmächtig die Vogelstange, die ja im Besitz der Bruderschaft war, versetzt, und das dadurch freigewordene Grundstück auf dem Wall an den Zonser Schultheißen Franz Bernhard Mappius erblich verpachtet. Der Bürgermeister Johannes Eberle war der Meinung, rechtens gehandelt zu haben, da er die Mehreinnahmen als förderlich für die Stadt ansah. Bereits am 6. April erfolgte, wohl wegen mittlerweile aufgekommener Unruhen, der schriftliche Befehl des Domkapitels an den Magistrat, den ursprünglichen Zustand innerhalb von vier Wochen wiederherzustellen. Doch am 28. April musste das Kapitel die schriftliche Weisung unter Hinweis auf die gesetzte Frist wiederholen, da bisher noch nichts geschehen war.[31] Und auch in den nächsten Wochen ging der Magistrat nicht auf die Aufforderung ein. Stattdessen suchte Bürgermeister Eberle, der sich noch immer im Recht sah, bei anderen Stellen nach einer Rechtfertigung für sein Handeln. Und so sandte er am 29. Mai 1770 eine schriftliche Anfrage an den Neusser Stadtsekretär, wie die Neusser es mit dem Grundstück hielten, auf dem die Vogelstange stehe, oder genauer: ob der Magistrat die Stange "ohne vorläufige Anfrag und eingeholten Consens ab dasiger Bürgerschafft" im Hinblick darauf versetzen dürfe, dass die dadurch entstehenden Einnahmen der Stadt zugute kämen. Der Stadtsekretär antwortete, dass in Neuss nicht die Bürgerschaft, sondern die Junggesellen nach dem Vogel schössen, und diesen sei eine bestimmte Stelle für die Vogelstange zugewiesen. Das heißt, dass der Magistrat in eigener Entscheidung bestimmte, wo die Vogelstange aufgestellt wurde. Die Neusser Stadtwälle stünden unter der Aufsicht des Stadtrats.[32] Eberle konnte sich also durch die Neusser Antwort in der Ansicht bestätigt fühlen, dass sein Vorgehen rechtens gewesen sei.
Nicht weniger aktiv war auch die Gegenseite: Der Präfekt der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft Johann le Bruin richtete in dieser Zeit ein Schreiben an den Amtmann, in dem er verschiedene Missstände anprangerte: So behaupte der Magistrat, der Präfekt sei ein Lügner, da er verbreite, der Magistrat habe das Holz der Vogelsrute bei der Wegnahme zerstört und unbrauchbar gemacht. Le Bruin sah keine Notwendigkeit, dies zu beweisen, denn die Zerstörung der Vogelsrute ließe sich bereits daran erkennen, dass der Magistrat notdürftig an der Stange herumgeflickt und ausgebessert habe. Der Präfekt befürchtete, man wolle dieses schimpfliche Provisorium an alter Stelle wieder aufstellen. Le Bruin betonte, dass er selbst ein "ehrlich auffrichtiger Mann" sei. Der Magistrat hingegen müsse wegen seiner Lügen verurteilt werden. Denn er stelle fälschlicherweise in Abrede, sich gegen die Entscheidung des Domkapitels ausgesprochen zu haben. Statt den mahnenden Worten Taten folgen zu lassen, habe der Magistrat erwogen, durch den Prokurator Theodor Oppenhoff in Bonn, Mitglied des kurkölnischen Hofrats, eine juristische Untersuchung durchführen zu lassen. Diese sei aber nicht zustande gekommen, da die Geldmittel fehlten und man befürchtet habe, das Domkapitel könne dies als "Aufbaumung der Unterthanen wider seine gnädigste Obrigkeit" werten.
Außerdem erwähnt le Bruin, dass die vom Magistrat auf dem Platz gepflanzte Hecke noch nicht komplett entfernt worden sei. Der Präfekt schloss aus dem Gesagten, dass der Magistrat keineswegs gedenke, der Aufforderung Folge zu leisten. Das Kapitel möge vor allem auf die Entfernung der Hecke samt vollständiger Wiederherstellung der Vogelsrute drängen. Und als wirksame Drohung gegenüber dem Magistrat empfahl er die einstweilige Amtsenthebung oder eine willkürliche andere Strafe.
Das Kapitel erkannte nun den Ernst der Lage. Am 16. Juni richtete es ein Schreiben an den Präfekten zur Bekanntgabe, dass bereits am 25. des Monats eine Kommission zur Untersuchung der Sache nach Zons geschickt werde. Die Bürger von Zons und Stürzelberg solle er darüber informieren und gleichzeitig darauf hinweisen, dass sie gegebenenfalls vor diesem Untersuchungsausschuss aussagen müssten.
Am 25. Juni 1770 war dann tatsächlich die angekündigte Untersuchungskommission in Zons. Sie setzte sich zusammen aus den Herren Domdechant Graf Königsegg-Aulendorf, Domherr von Scampa und Syndikus des Domkapitels Bollich. Der Ausschuss konnte schlichten und kam zu einer Lösung, die noch am selben Tag schriftlich abgefasst wurde: Zwischen der Gemeinde Zons einerseits und dem Magistrat und dem Schultheißen andererseits, so ist darin zu lesen, sei eine Einigung zustandegekommen. Die gepflanzten Obstbäume mit dem Zaun sollten zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten weggeschafft und gleichzeitig der abgetragene Boden wieder aufgeschüttet werden. Außerdem solle eine "lebendige Hecke" angepflanzt werden, die den Weg vom Platz trennt.
Bürgermeister Eberle bezifferte die Kosten für die Wiedererrichtung der Vogelsrute mit 38 Reichstalern. Der Magistrat, so entschied die Kommission, müsse davon 23, die Bruderschaft 15 Taler aufbringen. Mehrkosten habe der Magistrat zu tragen, wobei er das übriggebliebene Holz der alten Vogelsrute einbehalten dürfe. Ferner müsse er den Pachtvertrag mit dem Schultheißen Mappius auflösen.[33] Otten schreibt, der Bürgermeister sei fälschlicherweise der Meinung gewesen, bei dem Wall handele es sich um Gemeindeeigentum. Syndikus Bollich habe ihm erklärt, die Verteidigungsanlagen, und damit auch der Wall, auf dem die Vogelstange stand, seien Sache des Domkapitels, und der Gemeinde stünden zur Bestreitung ihrer Kosten Rheinfähre, Akzise und Wegegeld zu.[34]
Man kann sich leicht vorstellen, dass sich der Bürgermeister durch den Vorfall bei einem Großteil der Einwohner ziemlich unbeliebt gemacht hat. Und tatsächlich hatte es im Mai des Jahres, als er sich zur Wiederwahl stellte, heftige Reaktionen von Seiten einiger Bürger aus Zons und Stürzelberg gegeben. Nach seiner Wiederwahl richteten sie ein Protestschreiben an das Domkapitel, das ihn daraufhin zwar im Amt beließ, aber in einer eigens neu aufgestellten Wahlordnung das Verbot aussprach, Stimmen zu werben. Man sieht also, auf welch unehrenhafte Mittel Eberle zurückgriff, um im Amt bleiben zu können. Im nächsten Jahr wurde ein anderer gewählt. Die Unruhen um die Wahl des Bürgermeisters Eberle dauerten noch bis 1789 an. Dennoch war er noch einige Male in dem Amt tätig.[35] Es ist aber anzumerken, dass der Bürgermeister nicht von der ganzen Bürgerschaft gewählt wurde, sondern von Schöffen, Ratsmitgliedern und nur sieben Vertretern aus der Bürgerschaft (davon zwei aus Stürzelberg). Das Verhältnis zwischen Eberle und Schützengilde scheint sich in der Folgezeit wieder etwas entspannt zu haben, denn er war beispielsweise 1774 bei der Ablegung des Rechenschaftsberichts der Bruderschaft anwesend.[36]
Bewaffnung und Kleidung der Schützenbrüder
In der frühesten Zeit der Sebastianus-Schützenbruderschaft schossen die Mitglieder vermutlich mit der Armbrust nach dem Vogel. Irgendwann haben sie sich aber auf Büchsen umgestellt, die sie im 18. Jahrhundert ausschließlich verwendeten und auch bei den Umzügen trugen. Büchsen hatten im Vergleich zur Armbrust Vor- und Nachteile: Sie waren zwar teils durchschlagskräftiger und hatten eine größere Reichweite, man konnte mit ihnen aber weniger genau zielen. Ein weiterer Nachteil der Feuerwaffen, sowohl der Steinschlossgewehre (Zündung mittels eines Feuersteins) als auch der Luntenschlossgewehre (Zündung mittels einer Lunte), ist, dass die Funktion witterungsabhängig war, d.h. ein Schießen bei Regen war nahezu unmöglich. So musste beispielsweise am 12. September 1751 ein Vogelschießen in Zons wegen beginnenden Regens abgebrochen werden und konnte erst am darauffolgenden Tag fortgesetzt werden.[37]
Der Ladevorgang bei den Steinschlossgewehren war sehr aufwendig. Ein geübter Schütze konnte gerade einmal zwei Schüsse in der Minute abgeben. Und viele Waffen waren so schwer und hatten einen dermaßen starken Rückstoß, dass man sie beim Schießen unmöglich frei halten konnte. In Zons stand deshalb nahe der Vogelstange eine Leiter, in die beispielsweise die 10-15 kg schwere Hakenbüchse (Arkebuse) (bei ihr befand sich ein kräftiger Haken unterhalb der Mündung) eingehängt werden konnte (s. Bericht von Johann Baptist Fuchs).
Im 18. Jahrhundert war ganz selbstverständlich ein Großteil der Zonser Schützenbrüder im Besitz eines Gewehres, denn seit 1654 war für alle zu den Wachtdiensten verpflichteten Bürger die Anschaffung einer solchen Waffe Pflicht.[38] Grundsätzlich musste jeder Bürger so für den Verteidigungsfall gerüstet sein. Da es aber umgekehrt einen Waffenschein oder sonstige Beschränkungen im heutigen Sinne noch nicht gab, konnte sich prinzipiell jeder weitgehend nach Belieben mit Waffen unterschiedlichster Art und unterschiedlichsten Kalibers eindecken, wenn es die Geldbörse hergab. Entsprechend uneinheitlich waren auch die Feuerwaffen beim Vogelschießen. In den Quellen ist von verschiedenen Büchsenarten (Hakenbüchse, Handbüchse) mit Steinschloss- und Luntenzündung die Rede.
An der Vogelstange galten wegen der mit den Schusswaffen verbundenen Gefahren besondere Regeln. Da man bereits negative Erfahrungen gemacht hatte, war in den Statuten festgelegt worden, dass vor Beginn des Schießens alle Flinten und Büchsen von zwei dazu bestimmten Herren genau untersucht werden mussten. Diese hatten gegebenenfalls Waffen zurückzuweisen. Außerdem gab es einen Abschnitt, der im Zusammenhang mit der Feuergefahr durch das Schießpulver vorschrieb, dass sich niemand unter Strafandrohung einer halben Ahm Bier mit einer Tabakspfeife auf kürzere Distanz als 12 Schritte der Vogelsrute nähern durfte.[39]
Gefahren konnten auch durch allzu großkalibrige Waffen entstehen, auch wenn sich damit gewisse Treffunsicherheiten ausgleichen ließen und die Wirkung größer war. Die Vorteile scheinen sich aber irgendwann unter den Zonser Schützen herumgesprochen zu haben, denn es tauchten immer größere Kaliber unter der Vogelstange auf. In einem Schreiben an den Amtmann aus dem Jahr 1774 berichtete der Vereinsvorstand, dass seit einigen Jahren einzelne Mitglieder extrem schwere Büchsen benutzten, "woraus viertel-pfündige Kugelen geschoßen werden", und was die Gefahr noch vergrößerte, es gebe sogar Schützen, die anstatt Kugeln eiserne Bolzen benutzten. Deshalb schlug der Vorstand dahingehend eine Erweiterung der Statuten vor, dass Waffen, die weniger als 16 oder 12 Kugeln auf ein Pfund hielten, von der Vogelstange abgewiesen und dass Eisenbolzen, durch die leicht ein Unglück entstehen könne, verboten werden sollten. Wer dagegen verstoße, müsse dem Verein eine Ahm Bier spendieren. Der Amtmann war mit der Entscheidung des Vorstandes und der entsprechenden Erweiterung der Statuten einverstanden.[40]
Die Informationen über die Kleidung der Zonser Sebastianus-Schützen sind äußerst dürftig. Mit Sicherheit trugen sie nicht Uniformen, wie man sie heute als typisch ansieht: Die an eine süddeutsche Tracht oder die Bekleidung von Jägern erinnernden Schützenuniformen kamen erst im 19. Jahrhundert allmählich auf.
Vielerorts erkannte man die Mitglieder der Schützengilden an einer Art Kapuze, die "Gogel" genannt wurde. In späterer Zeit wurde diese meist durch einen Hut ersetzt. Auch die Zonser Schützen trugen Hüte – und möglicherweise war dies im 18. Jahrhundert das einzige Erkennungsmerkmal. Von den zwei Wettschießen der Junggesellen 1738 war bereits die Rede, bei denen es jeweils um einen neuen Hut ging. Weitere Angaben beziehen sich auf die Musikanten ("Spilleuth" und "Tambauren") als eine etwas herausgehobene Gruppe. Sie wurden von der Bruderschaft nicht nur für ihr Spielen am Tag des Königsvogelschießens bezahlt, sie erhielten von der Vereinigung an diesem Tag auch traditionell recht teure Seidenbänder für ihre Hüte. 1739 waren es beispielsweise 34 Ellen (knapp 20 m) Band, die von der Bruderschaft zu diesem Zweck gekauft wurden.[41]
Königsvogelschießen
Der "Vogelschießungstag"
Die heutige Bezeichnung "Schützenfest" ist hier nicht passend, denn erstens waren in früheren Zeiten ohne Zweifel auch die Feierlichkeiten am Tag des Vereinspatrons, die denen am Tag des Königsvogelschießens nur wenig nachstanden, ein "Schützenfest", und zweitens war dieses Wort in Zons offenbar nicht gebräuchlich, denn es taucht nicht ein einziges Mal in den Quellen auf. Stattdessen sprach man zur Unterscheidung vom Patronatsfest vom "Vogelschießungstag".
Traditionell fand dieses Fest am Sonntag vor Pfingsten statt. Wie am Sebastianustag war morgens zunächst ein Hochamt, zu dem der Schützenkönig vom Vorstand, dem Bürgermeister, dem Fähnrich und den anderen Brüdern abgeholt wurde. Im Anschluss an die Messe begleitete man ihn wieder nach Hause. Nachmittags nach der Vesper zogen die Schützen mit dem König feierlich in Formation und unter Musikbegleitung zur Vogelstange. Dort wurden zunächst die Schützenschilde von dazu bestimmten Personen genau untersucht und gezählt.
Beim Schießen galt die Ordnung, dass die Teilnehmer anfangs abwechselnd dreimal feuern durften. Danach konnte jeder "nach seinem Belieben so oft schießen [...] als er kann".[42] Zweifelsohne hatte diese Regelung große Nachteile: Im zweiten Teil konnte der Wettkampf leicht chaotisch werden. Das Königsvogelschießen 1741 macht dies deutlich: Zwei oder drei Brüder gerieten in Streit, weil sie gleichzeitig auf den Vogel geschossen hatten und jeder der Meinung war, sein Schuss habe den Rest des Vogels heruntergeholt. Der Vorstand entschied daher, einen neuen Vogel "ohne Flügelen und Stertz" zu machen und ein neues Schießen anzusetzen.[43] Erst 1774 wurde diese Wettkampfordnung geändert. Von diesem Zeitpunkt an ließ man die Schützen nacheinander nach einem Losprinzip bzw. nummeriert schießen (s. Bericht von Johann Baptist Fuchs).[44]
Zunächst wurden die Pfänder ausgeschossen. Auf Kopf und Schweif setzte man jeweils 12 Albus, auf jeden Flügel 8 Albus aus. Stand schließlich der neue Schützenkönig fest, hängten ihm sieben Jungfrauen die Königskette um und setzten ihm einen Kranz auf. Anschließend wurde er von den Schützen durch die Stadt geführt. An mehreren Häusern machte der Zug Halt, wo dem neuen Regenten der "Ehrenwein" gereicht wurde. Bei der Herberge, also Gaststätte, angelangt, konnte das Gelage beginnen. Der Fähnrich nahm dem König dort die kostbare Silberkette ab und brachte sie mit zwei weiteren Personen an ihren "gehörigen und von der Bruderschaft beliebten Orth zur Verwahrung". Satzungsgemäß trank man in der Gaststätte drei Ahmen (ca. 425 l) Bier; zwei bezahlte die Bruderschaft, eine der Schützenkönig. Das Fest endete abends mit dem Königsball. Dies war gewissermaßen der Idealablauf des Festtags. In der Praxis gab es hierzu mancherlei Abweichungen. So musste beispielsweise in der Bruderschaftsordnung ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die in der Gaststätte Anwesenden nicht eher mit dem Trinken beginnen durften, bis der neue Schützenkönig zugegen war. Doch sollten sie dann "in Friedt und Einigkeith" trinken, und der Verein drohte Personen, die "sich die Natur ansaufen oder sich sonst gegen die Ehrbarkeith aufführen", eine "willkürliche Strafe" an.[45] Doch es gab auch anderes zu reglementieren:
1774 schrieb der Vorstand an den Amtmann, dass beim Vogelschießen alle Ordnung hintenangestellt werde, und schlug deshalb die Nummerierung der Schützen vor (s.o.). Zudem fänden sich die meisten Schützen schon vorher unter der Vogelsrute ein oder gingen verfrüht "zum Bier", weshalb der König von sehr wenigen Schützen begleitet werde. Der Vorstand legte mit Einwilligung des Amtmanns fest, diejenigen, die den Schützenkönig nicht bei sämtlichen Umzügen an diesem Tag bewaffnet begleiteten, vom Vogelschießen auszuschließen.[46]
Die Gelage am Tag des Königsvogelschießens und am Sebastianustag waren für die Mitglieder von großer Bedeutung. Als um 1705 der Bierkonsum vom Brudermeister im Zuge von Sparmaßnahmen für einen neuen Altar stark eingeschränkt wurde, kam es zu einem kleinen Aufruhr (s.u.). In Notzeiten verzichtete man aber ganz selbstverständlich auf das Biertrinken: Als 1748 um die Zeit des Sebastianustages eine schwere Viehseuche herrschte, fand an dem Tag kein Gelage und Vogelschießen statt, sondern man hielt – wie an mehreren anderen Tagen – einige heilige Messen ab.[47] Genauso fiel am 22. Mai 1746 das Königsvogelschießen aus, da einen Tag zuvor ein schwerer Hagelschlag so schlimme Verwüstungen in den Feldern angerichtet hatte, dass man nicht mehr erkennen konnte, was angebaut worden war, es waren "alle Bletter von Baumen und Hecken mit den Schalen [Rinde] abgeschlagen".[48]
Ein besonderes Ereignis im Leben der Bruderschaft war die Teilnahme des Kurfürsten am Königsvogelschießen. Clemens August (1723-1761) war sogar zweimal dabei. Er hielt sich gelegentlich in Zons auf, um beispielsweise seiner Lieblingsbeschäftigung, der Jagd mit Falken auf Reiher und Milane (Reiherbeize), nachzugehen. Am 6. Mai 1739 gingen der Schützenkönig Heribert Endenich, der Bruderschaftshauptmann, der Bruderschafts-Fähnrich und alle Schützenbrüder mit Gewehr und Königskette zu seiner Zonser Residenz (Burg Friedestrom), um ihm die Aufwartung zu machen. Die Kette hatte man "auff ein[e] silberne Schüssel gelegt". Der 6-jährige Knabe Heribert Nolden, als Engel verkleidet, präsentierte ihm zusammen mit dem Schützenkönig das Silber. Wenige Tage später, am 10. Mai, trug sich der Kurfürst "auffm Schloss" eigenhändig in das Bruderschaftsbuch ein und erklärte sich somit zum Mitglied der Vereinigung. Beim Vogelschießen schoss er "aus losser Hant" (also ohne Stütze für die Waffe) den Vogel herunter.[49] Sieht man einmal von dieser zweifelsohne respektablen Leistung ab, ist es wohl nur schwer vorstellbar, dass jemand so kühn gewesen wäre, dem Herrn ernsthaft Konkurrenz machen zu wollen.
Clemens August nahm die Zeichen der Königswürde nicht an, sondern schmückte seinen Kammerdiener mit Kette und Kranz. Dieser ist dann anstelle des Kurfürsten von den Brüdern wie üblich durch die Stadt geführt worden. Clemens August zeigte sich spendabel und gab auf dem Marktplatz nicht nur die gewöhnlich vom Schützenkönig spendierte Ahm Bier aus, sondern fügte noch zweieinhalb Ahmen Bier und eine halbe Ahm Wein hinzu. Zusammen mit den zwei Ahmen von der Bruderschaft kamen an diesem Tag somit etwa 780 l Bier und 70 l Wein zum Ausschank. Auf dem Platz spielten vier Musikanten, und zu später Stunde wurden drei Wachsfackeln angezündet. Die Leute haben vergnüglich "gesprungen und gedantzt" bis 22 Uhr. Monate später, im Dezember, gingen der Brudermeister Heribert Endenich und der Bürgermeister Johann Peter Schullmeister mit drei bewaffneten Schlosssoldaten zum Domkapitel nach Köln, um ein kostbares Schützenschild des Kurfürsten für die Königskette abzuholen. Es war aus Gold und wog 12 ½ Lot (ca. 183 g).[50]
Auch 1744 nahm der Kurfürst am Zonser Königsvogelschießen teil: Am 13. Mai hatte er sich in das neu angelegte Bruderschaftsbuch eingetragen. Beim Schießen am 17. holte er wieder den Rest des Vogels herunter. Den sieben Jungfrauen, die ihm den Kranz aufsetzten, schenkte er 12 Golddukaten, die sie gleichmäßig unter sich aufteilten, wovon "jedes Mägtgen ½ Reichstahler an Unkosten angelegt" hat. Am darauffolgenden Tag spendierte Clemens August der Bruderschaft eine Ahm Wein, bevor er noch am selben Tag wieder nach Brühl reiste.[51]
Bedeutend für die Gilde war sicherlich auch die Teilnahme des Amtmanns am Vogelschießen. Am 12. September 1751 nahm Amtmann Joseph Maria Sigismund von Königsegg-Rothenfels, der ein leidenschaftlicher Jäger war, teil. Der Wettbewerb wurde an diesem Tag wegen einsetzenden Regens unterbrochen und am darauffolgenden fortgesetzt. Noch am ersten Tag spendierte der Amtmann den Brüdern drei Pistolen – dies entsprach 15 Reichstalern – für ein Gelage. Und die Jungfrauen, die ihm nach seinem "Königsschuss" am nächsten Tag den Kranz aufsetzten, erhielten drei Golddukaten.[52]
Die Privilegien und Pflichten des Schützenkönigs
Wie es bei den Schützengilden in der damaligen Zeit üblich war, hatte der Schützenkönig der Sebastianus-Schützenbruderschaft besondere Privilegien, die das Amt recht attraktiv machten. Am 16. Juni 1658 wurden sie "zu Verhüthung einigen Mißverstandts" von den Brüdern schriftlich festgelegt. Sie galten jeweils für die Dauer der Herrschaft, also ein Jahr. An erster Stelle wird darin die Wachtdienstbefreiung genannt. Der Schützenkönig wird dies als große Entlastung empfunden haben, denn das "Wacheschieben" war eine nicht sonderlich beliebte Angelegenheit. Ferner brauchte er während der Zeit den "Schatz" von seinem Haus, also die Hausgrundsteuer, nicht zu zahlen. In späterer Zeit kam dann noch die Befreiung vom "Schüppen- und Pferths-" Dienst hinzu. "Schüppendienste" waren Arbeiten, zu denen der Bürger im allgemeinen Interesse herangezogen werden konnte, beispielsweise Ausbesserungen am Deich, an der Landstraße usw. "Pferds-Dienst" bedeutete, dass der Bürger sein Pferd – falls vorhanden – im Bedarfsfall für Aufgaben zum Wohle der Allgemeinheit zur Verfügung stellen musste.
Traditionell durfte der Schützenkönig während der zwölf Monate einen Morgen Wiesen, den sogenannten Vogelsmorgen, kostenlos nutzen. Er lag in der Flur "Mähbenden" auf Dormagener Gebiet, also unterhalb der heutigen Aldenhovenstraße in der Altrhein-Niederung. Um mögliche Benachteiligungen zu vermeiden, wurden die genannten Privilegien Pfingstmontag 1697 ausgebaut: Wenn ein Schützenkönig, der Zonser Bürger war, kein Pferd besaß, war es ihm gestattet, die entsprechende Freiheit einem anderen Zonser zu verkaufen oder zu verschenken. Und dies galt bezüglich aller Privilegien mit Ausnahme des Wachtdienstes auch für Mitglieder ohne Zonser Bürgerrecht.
Etwas sehr Außergewöhnliches war es, wenn ein Schütze drei Jahre hintereinander den Vogel abgeschossen hatte und damit "Kaiser" war. In diesem Fall sah die Bruderschaftsordnung vor, dass er vom Verein drei Golddukaten erhielt und kein silbernes Schild zur Königskette schenken brauchte. Wie zwei weitere Quellen berichten, bekam er zudem sogar alle Königsschilde (!) geschenkt: 1736 wurde Christian Gymnich aus Uedesheim Kaiser, und es sind ihm deshalb die 44 vorhandenen Schilde "uberliebert" worden (nur nicht die eigentliche Kette mit dem Silbervogel).[53] Er behielt aber wohl nur wenige Schilde ein, denn in späterer Zeit waren die meisten noch vorhanden. Dies ist der einzige überlieferte Fall, dass jemand "Kaiser" wurde. Mit Sicherheit haben es aber einige Schützen versucht. Johann Baptist Fuchs erwähnt einen solchen Kandidaten und auch das außergewöhnliche Kaiserprivileg.
1749 kam unter den Schützenbrüdern die Frage auf, ob der Schützenkönig die Privilegien weiter nutzen dürfe, wenn das Königsvogelschießen im folgenden Jahr ausfiel. Der Vorstand entschied, dass in diesem Fall der König nicht in seinem Amt und im Besitz der Freiheiten bleibe, sondern die Bruderschaft wähle einen neuen (zweiten) Brudermeister. Dieser habe dann zwar nicht die Privilegien, bekomme aber für seine Aufgaben das übliche Brudermeistergehalt.[54]
Damit sind zugleich die Pflichten des Schützenkönigs teilweise abgedeckt. Denn traditionell hatte er als Mitglied des Vorstands wie der Brudermeister eine Rechnung über die Einnahmen und Ausgaben des Vereins anzufertigen, aber im Gegensatz zum eben genannten "zweiten Brudermeister" unentgeltlich. Zu seinen Pflichten zählte auch, dass er am Tag des Königsvogelschießens den Mitgliedern eine Ahm Bier spendierte und innerhalb seines Regentschaftsjahres – wie erwähnt – einen silbernen Königsschild zur Schützenkette besorgte.
Die Schützenkönige
Auf die Frage, wer die Schützenkönige der Sebastianus-Bruderschaft waren, kann man mit der Gegenfrage antworten, wie teuer das Königsamt in Zons und für wen dies erschwinglich war. Johann Baptist Fuchs zahlte 1777 für alle mit dem Titel verbundenen Aufwände einschließlich Königsschild "etwa 75 Reichstaler". Zu dieser Zeit verdiente ein Steinmetzgeselle in Köln jährlich nur 72 Reichstaler.[55] Man sieht also, die Kosten waren ziemlich hoch und für den weitaus überwiegenden Teil der Mitglieder mit Sicherheit unerschwinglich. Leicht konnte das Amt einen weniger Begüterten in arge Finanznöte stürzen, wie beispielsweise Joseph Eichel, den Schützenkönig des Jahres 1749: Nach dem Schützenfest geriet er in so arge finanzielle Probleme, dass er nicht mehr in der Lage war, den silbernen Königsschild zu besorgen. Er wurde dafür von der Bruderschaft mit aller Härte bestraft und aus der Vereinigung ausgeschlossen.[56] Alleidings kamen wohl in dem Fall noch andere Gründe hinzu: Aus einem anderen Dokument geht hervor, dass er anscheinend auch Geld, das ihm in seiner Funktion als zweiter Brudermeister übergeben worden war, unterschlagen hatte, jedenfalls war es nicht fristgerecht übergeben worden.[57] Ähnlich wie heute hatte der Schützenkönig im 18. Jahrhundert sicherlich neben den in den Statuten festgelegten Ausgaben noch einige weitere "zwanglosere" Ausgaben, beispielsweise für Freibier bei spontanen Zusammenkünften o.ä., zu leisten.
Schützenkönige waren also in der Regel unter den relativ wohlhabenden Zonser Bürgern zu suchen. Dazu zählten beispielsweise Zollbeamte, Gastwirte und bessergestellte Bauern. Entsprechend finden sich unter den Schützenkönigen relativ wenige Personen aus dem sozial deutlich ärmeren Stürzelberg. Für Mitglieder aus weiter entfernten Orten war das Amt weniger bedeutend. Sie konnten ja beispielsweise – wie die Zonser Einwohner ohne Bürgerrecht (Junggesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Knechte etc.), die vermutlich ohnehin vom Königsvogelschießen ausgeschlossen waren – die Privilegien nicht wirklich nutzen, sondern nur an einen Zonser Bürger verkaufen, und das wahrscheinlich unter Wert. Zudem waren sie wohl kaum in der Lage, zu allen bruderschaftlichen Veranstaltungen oder lockeren Zusammenkünften zu erscheinen, und sie konnten somit auch die Ehrung im Kreise der Mitbrüder und in der Öffentlichkeit nicht genießen. Daher waren auswärtige Schützenkönige im Verhältnis zu ihrem Mitgliederanteil unterrepräsentiert. Die Beispiele zeigen aber, dass der Königstitel auch für sie einen gewissen Reiz haben konnte.
Bei einigen Schützenkönigen (24) konnte das Alter ermittelt werden. Demnach war der Jüngste 20 Jahre, der Älteste 64 Jahre alt. Das Durchschnittsalter betrug etwa 32 Jahre. Die hohen Kosten setzten sicherlich ein gutes und einigermaßen sicheres Einkommen voraus. Ein 20-jähriger Schützenkönig dürfte sicherlich – auch unter der Annahme eines früheren Eintritts in das Erwerbsleben im 18. Jahrhundert – schon "von Haus aus" über recht gute Finanzmittel verfügt haben, wie beispielsweise der Kölner Jurist Johann Baptist Fuchs.
Den Wohlstand einiger Mitglieder kann man auch daran erkennen, dass ihre Namen in der Liste der Schützenkönige mehrfach auftauchen. Zugleich verdeutlicht dies auch wieder die Attraktivität der Würde: Die Spitzenposition nimmt Heribert Endenich ein, der viele Jahre dem Vorstand der Bruderschaft angehörte. Er war mindestens siebenmal König (1727, 1730, 1737, 1738, 1745, 1754 und 1762). Als Kontrolleur des Zolls war er sicher einer der vermögendsten, wenn nicht sogar der vermögendste Stadtbewohner. Es ist hinlänglich bekannt, wie "ertragreich" dieses Amt durch das Kassieren von Bestechungsgeldern war. An zweiter Stelle hinter Endenich folgen zwei Schützen, die mindestens viermal den Titel hatten: der Schöffe Laurenz Häring (1714, 1715, 1717 und 1722) und Johann Becker (1775, 1776, 1778 und 1779), der Besitzer des Gast- und Brauhauses "Zum Anker" in der Rheinstraße gewesen zu sein scheint.[58] Direkt am Zollturm gelegen, war diese Gaststätte sehr lukrativ, denn nach der Zollabfertigung pflegten die Beteiligten auf die Verzollung anzustoßen.
Die Königskette
Vorbildhaft für die Schützenketten, die erst im 16. Jahrhundert allmählich aufkamen, waren die Ketten von Bürgermeistern und Zunftvorstehern. Im 17. Jahrhundert gingen die meisten Schützengilden dazu über, dem Schützenkönig die Anschaffung eines Königsschildes vorzuschreiben. Dies trifft auch auf Zons zu, wo 1658 ein entsprechender Absatz in die Statuten aufgenommen wurde. Darin ist jedoch bereits von "übliche[m] Gebrauch" die Rede, so dass wir von einem noch früheren Einführungszeitpunkt ausgehen müssen.[59]
Von der Kette der Sebastianus-Schützenbruderschaft ist heute kein Stück mehr vorhanden. Es gibt aber recht gute Beschreibungen aus der ersten und zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Die Schützenschilde hingen demnach an einem silbernen Vogel, "sitzend auf einem übergüldenten [vergoldeten] Zweich". Darüber befand sich ein vergoldetes Schild "unseres gnädigsten Herren" (des Kurfürsten). Es zeigte den Pfarrpatron St. Martinus und ein Kreuz. Außer den Schilden hing an der Kette auch ein goldener Pfennig von Kurfürst Clemens August aus dem Jahr 1739.[60]
Bemerkenswerterweise ist in den Quellen nie von der "Königskette" die Rede, sondern immer – pars pro toto – vom "silbernen Vogel". So klingt es für uns heute etwas befremdlich, dass der Schützenkönig mit dem "silbernen Vogel" geschmückt in der Kirche anwesend zu sein hatte, wie es die Statuten erwähnen.
Bei der Liste der Schilde fällt auf, dass der älteste erst aus dem Jahr 1664 war. Zudem gab es einige mehr oder weniger große zeitliche Lücken bis zu dem Exemplar aus dem Jahr 1794, in dem das letzte Königsvogelschießen stattfand. Dafür kann es mehrere Ursachen geben: 1.) Das Schießen war in verschiedenen Jahren ausgefallen, z.B. wegen kriegerischer Belastungen, Erntekrisen, Viehseuchen usw. – 2.) Schilde sind von der Bruderschaft verkauft oder für kirchliche Geräte eingeschmolzen worden. Ersteres ist belegt: Beispielsweise wurde 1775 der goldene Schild von Kurfürst Clemens August zur Verbesserung des Kassenstandes verkauft. – 3.) Schilde sind verloren gegangen oder gestohlen worden. Dass dies vorkam, darauf deutet die Praxis der Bruderschaft hin, die Schilde vor dem Königsschießen genau untersuchen und zählen zu lassen. – 4.) Ein Mitglied wurde "Kaiser", brauchte deshalb keinen Schild zu schenken und hat Exemplare einbehalten (s.o.). – 5.) Ein Schützenkönig konnte den Schild nicht bezahlen. Auch dafür wurde bereits ein Beispiel genannt. Fraglich ist, warum von manchen Jahren zwei Schützenschilde von verschiedenen Königen existierten und auf dem Schild von 1790 die Namen zweier Schützen eingraviert waren. Es ist recht unwahrscheinlich, dass der Verein entgegen der Tradition in einem Jahr zwei Königsvogelschießen veranstaltete. Die Frage muss offenbleiben.
Laut der Pfarrchronik existierten von den alten Schützenschilden 1944 wohl noch vier Exemplare. Pfarrer Johannes Klüwer brachte sie im Dezember des Jahres zusammen mit einigen anderen kostbaren Gegenständen nach Brilon ins Sauerland in Sicherheit, da "die Gefahr der Evakuierung sehr nahe bevorstand". Die Medaillen wurden leider dort von den einmarschierenden Amerikanern gestohlen. Eine Medaille soll die von Kurfürst Clemens August aus dem Jahr 1739 gewesen sein.[61] Es handelte sich aber in dem Fall nicht um den golgenen Originalschild, sondern um die kupferne Nachbildung, die die Schützenbruderschaft nach dem Verkauf des originalen Schildes um 1775 besorgt hatte.
Bericht des Schützenkönigs Johann Baptist Fuchs 1777
Ein äußerst seltene Quelle und damit ein großer Glücksfall für diese frühe Zeit ist die Schilderung eines Zonser Königsvogelschießens durch einen Zeitzeugen. Der Kölner Student der Rechtswissenschaften Johann Baptist Fuchs, aus wohlhabendem Hause, nahm 1777 an dem Fest teil und wurde Schützenkönig. Dieses Ereignis war für ihn so eindrücklich, dass er die Erinnerungen daran etwa 50 Jahre später sehr plastisch und ausführlich in seiner Autobiografie für die Nachwelt festhielt. Zum Zeitpunkt der Handlung war er 20 Jahre alt. Es folgt der 1912 von Julius Heyderhoff[62] veröffentlichte Originaltext, in eckigen Klammern mit einigen Ergänzungen hierzu:
- "Die Zonser Kirmes rückte heran, bei welcher Gelegenheit Herr Aldenhoven [wahrscheinlich Heribert Bertram, gebürtig aus Zons, nur wenige Monate älter, studierte ebenfalls in Köln] seine Eltern besuchen mußte. Er lud uns nun alle ein. Mein Vater war abwesend, aber meine Mutter war gütig genug, mir nicht nur die Urlaube dazu zu erteilen, sondern mir auch meines Vaters Reisewagen mitzugeben. Wir reisten am Vorabend der Kirmes [10. Mai (?) 1777] so zeitig nach Zons ab, daß wir noch bei gutem Tage daselbst ankamen und unsere Visiten bei den Zollbeamten machen konnten. Wir hatten den Schreiner Diederichs mitgenommen, dessen Liebhaberei das bei Kirmessen gewöhnliche Vogelschießen war und wobei er eine Meisterrolle zu spielen pflegte.
- Gelegentlich des Besuches bei Herrn Beseher [Johann le Bruin, Präfekt der Schützenbruderschaft], der ein Freund meines Vaters war, wurde vom Vogelschießen gesprochen. ‘Ei‘, sagte er zu mir, ‘Sie müssen sich auch in die Bruderschaft einschreiben lassen, die silberne Kette würde auf Ihrem schönen braunen Kleidchen trefflich lassen‘. Ich mochte protestieren, wie ich wollte, mein Protest und meine Angabe, nicht schießen zu können, wurde nicht angenommen: ich wurde eingeschrieben.
- Wir logierten alle bei Herrn Aldenhoven im Hause [Rheinstr. 10]. Abends bei Tische machten wir die Bekanntschaft mit dem biederen alten Vater [Christian Aldenhoven, 67 Jahre], der damals Wittmann war, und seiner sehr liebenswürdigen Tochter [Johanna Sophia, 15 Jahre], die wir die Königin des Festes betauften. Wir lebten wonnetrunken in ihrer Gesellschaft und gingen ihr nicht von der Seite. Der Abend wurde bis zum späten Schlafengehen recht munter und lustig zugebracht, das schmackhafte Frühstück des andern Morgens ebenso heiter eingenommen; es ward durch die Stadt und Umgegend herumgeschlendert, Messe gehört und dann zu Tische gegangen. Es wurde weidlich geschmaust, aber mitten in Saus und Braus ertönten Trommel und Pfeifen und eine angenehme Musik. Der Aufbruch zum Vogelschießen ward dadurch angekündigt. Wir begaben uns nun in den Zug. Bei der Vogelrute ankommend, wurden die Lose ausgeteilt. Mehrere der versammelten Bauern teilten uns ihre Lose mit, und wir besaßen deren eine schöne Anzahl. Schreiner Diederichs hatte drei Kugelbüchsen bei sich, die er alle selbst und vorsichtig lud und jedem von uns, den die Ordnung traf, zubrachte. Drei Pfänder, den Kopf, einen Flügel und den Sterz, hatte ich das Glück herunterzuschießen, teilte aber die darauf haftenden, ziemlich bedeutenden Preise jenen Bauern, auf deren Lose ich getroffen hatte.
- Der Vogel war bereits zum Schwanken gebracht worden, als mich die Reihe zu schießen mit drei aufeinander folgenden Losen traf. Diederichs war in einem Jubel und hatte alle drei Kugelbüchsen trefflich geladen. Als ich mich zum Schießen setzte und anlegte, sagte er mir den Punkt, auf welchen ich anlegen mußte. Ich brannte los und traf den Vogel so derb, daß noch Scherben davonflogen. Mein zweiter Schuß ging vorbei; ich war zu hitzig. Nun wurde es den Umstehenden bange, denn nach meinem dritten Schuß folgte just derjenige, der schon zwei Jahre nacheinander den Vogel abgeschossen hatte [Johann Becker] und diesmal die große silberne Kette mit allen Schilden zum Eigentum davongetragen haben würde, wenn er zum dritten Mal Sieger geworden wäre.
- Diederich wußte das alles, kam und hing eine Kugelbüchse mit einem Krampen in die Leiter, hieß mich dann anlegen und empfahl mir den Punkt, den ich fixieren sollte. Ich gab mir Mühe, diesen Punkt zu visieren, drückte los und der Vogel mitsamt der eisernen Platte kam herunter, aber im nämlichen Moment fort war auch mein Hut. Als ich mich von der Betäubung des Schusses ein wenig erholt hatte – denn ich schoß sechs Kugeln, und die Büchse würde mir die Schulter auseinandergeschlagen haben, wäre sie nicht eingehängt gewesen und um mich sah, war ich schon umzingelt von einer Menge schöner Bauernmädchen, die mir meinen Hut, mit einer Krone versehen, brachten, mir zugleich die silberne Kette umhingen.
- Jetzt bildete sich der Triumphzug. Die Zollbeamten nahmen mich in ihre Mitte, und eine Menge Menschen gingen mit; ich ward in der Stadt herum an eine Menge Häuser geführt, wo mir der Ehrenwein präsentiert wurde. Der Spaß endigte sich mit einem Ball, wozu ich unsere Königin des Festes abholte, und kostete mich mit Einschluß des Schildes, das ich im andern Jahr zur Kette gab, etwa 75 Reichstaler. Drei Tage hindurch blieben wir bei Herrn Aldenhoven und machten uns recht lustig. Der Abschied war traurig und zugleich äußerst zärtlich, denn wir liebten unsere Königin recht herzlich. Meine königliche Gnaden – Freiheit von allen Abgaben und Benutzung einiger schöner Wiesen, die dem Könige zuteil fielen – verehrte ich dem alten Vater. Beim Zu-hause-kommen fand ich meinen Vater von seiner Reise zurück; er wollte brummen, aber die Majestät meiner mitgebrachten Krone und Sträuße machte ihn verstummen. Er war sogar so gütig, dem damaligen Professor Wallraf die Einrichtung des silbernen Schildes aufzutragen, mit welchem ich im folgenden Jahr die silberne Vogelkette beschenken mußte. Es wog 8 Lot und hatte auf einer Seite meines Vaters Wappen und auf der anderen Seite eine römische Inschrift, die mit den Worten schloß: bonis avibus victor [Sieger über die schönen Vögel].
- Nun ward aber auch auf der Schreibstube mit doppeltem Eifer gearbeitet. Nur wurde dieser nach ein paar Monaten traurig gestört. Es lief die Nachricht ein, die Demoiselle Aldenhoven – unseres Festes Königin – liege an der Dysenterie [Ruhr] gefährlich krank, und dieser folgte gleich darauf die schreckliche Post, sie sei tot [sie wurde am 16. September 1777 beerdigt]. Wehmütig sahen wir uns einander an und eilten von der Schreibstube zur Kirche, um für die Verblichene eine Messe zu hören. Lange trauerten wir diesem guten Mädchen nach, denn sie war wirklich ein herrliches Muster ihres Geschlechts."
Statuten, Vorstand und Finanzen
Die Statuten
Eine Schützengilde definierte sich in erster Linie über ihre Statuten. Daneben gab es eine Anzahl von Gewohnheitsregeln, die nicht schriftlich festgehalten waren, aber häufig ebenso bedeutend für den Ablauf von Veranstaltungen und bindend für die Mitglieder. Die erhaltenen Statutentexte der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft entstanden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert teilweise auf der Grundlage älterer Vorlagen. Die Bruderschaft ließ sie jeweils vom neuen Amtmann bestätigen.
Die Statuten bestehen aus einem Hauptteil und mehreren kleineren, ergänzenden Teilen. Insgesamt ist der Aufbau recht unsystematisch, gelegentlich kommen sogar Wiederholungen vor. Dies ist nicht außergewöhnlich bei Statuten dieser Zeit, denn sie sind häufig – wie in Zons – nicht "in einem Stück" entstanden, sondern mehrmals überarbeitet worden, wobei Punkte ergänzt wurden. Sehr ausführlich werden Themen wie der Ablauf der Festveranstaltungen, die Aufgaben und Pflichten des Schützenkönigs und die Gedächtnismessen behandelt. Viele wichtige Dinge werden jedoch nur kurz angeschnitten oder fehlen völlig: Vorschriften, die das Verhalten der Mitglieder untereinander regelten, sind kaum auszumachen. Die Beschreibung der Aufgaben des Vorstandes beschränken sich in erster Linie auf die Person des Brudermeisters. Dessen umfangreiches Aufgabengebiet wird aber nur sehr unvollständig wiedergegeben. Zur Frage der Wahl des Vorstandes sind keine Angaben enthalten.
Die Schützenbruderschaft hatte ihr eigenes Strafrecht, das im Rahmen der vereinsinternen Angelegenheiten regelte. Es spiegelt sich in den Statuten wider. An Strafen werden in erster Linie Bierspenden, aber auch Wachsspenden (für den Sebastianus-Altar) genannt. In einem Abschnitt ist von "willkühriger Straf" die Rede. Dies bedeutet, dass man sich einen gewissen Rahmen freihielt, eine der Schwere des Vergehens angemessene Strafe zu finden, konkreter: wie viel Bier oder Wachs das Mitglied der Vereinigung zu geben hatte. Geldstrafen scheinen unüblich gewesen zu sein. Die Bruderschaft hatte selbstverständlich nur eine niedere Gerichtsbarkeit, d.h. sie urteilte beispielsweise nicht über Delikte wie Diebstahl oder Körperverletzung.
Der Vorstand und andere Funktionsträger
Wie man der Formulierung "etliche Vorstehen Brüder" in den Statuten entnehmen kann, gehörten dem Vorstand der Sebastianus-Schützenbruderschaft mehrere Personen an. Entsprechend dem Brauch der damaligen Schützenvereinigungen finden sich in den wichtigen Führungspositionen vor allem angesehene Bürger der oberen Gesellschaftsschicht, besonders die wichtigen Amtsträger in den Diensten der Stadt oder des Domkapitels. Dies war einerseits positiv für das Ansehen der Vereinigung, andererseits hatte man dadurch in mancherlei Hinsicht bessere Voraussetzungen für die Umsetzung von Vorhaben. Umgekehrt hat die Übernahme eines Vorstandspostens die Chancen für die Übernahme anderer, beispielsweise politischer Funktionen sicherlich erleichtert – es waren also bereits ähnliche Mechanismen wie heute wirksam.
Es ist nicht klar, wie und von wem die Vorstandsmitglieder gewählt wurden. 1705 entschieden die Rechnungsprüfer gemeinsam, den Brudermeister wegen seiner vorbildlichen Arbeit für den Posten erneut vorzuschlagen ("frei praeconcipirtes Vorhaben").[63] Möglicherweise lag die eigentliche Entscheidung, also das Ernennungsrecht, beim Domkapitel als oberste Instanz, vertreten durch den Amtmann. Der große Einfluss des Kapitels auf die Vereinigung wurde ja bereits an mehreren Stellen deutlich. Es scheint auch das Aufsichtsrecht über die Schützenbruderschaft gehabt zu haben, das in den Städten gewöhnlich der Rat ausübte. Der Schultheiß als Vorsitzender des Zonser Schöffengerichts vertrat die Interessen des Domkapitels gegenüber der Vereinigung. Er setzte bei ernsteren Vergehen Strafgelder ("Brüchten") fest und war auch ansonsten in vielen Angelegenheiten der Bruderschaft aktiv, beispielsweise war er sehr häufig bei der jährlichen Rechnungslegung anwesend.
Am besten sind wir über den Posten des Brudermeisters informiert, den man zweifelsohne als den "Aktivposten" bezeichnen könnte. Nach unserem heutigen Verständnis war er gewissermaßen Geschäftsführer und Kassierer zugleich. Er kümmerte sich als Verwalter der Kasse um die gesamten Finanzen, also um die Einnahmen und Ausgaben. Über die Geldbewegungen musste er eine Jahresrechnung zusammenstellen. Deshalb wird er in den Quellen manchmal auch als "Rechner" bezeichnet. Die Ausgaben durfte er selbstverständlich nicht eigenwillig bestimmen. So wird in den Statuten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass von ihm vorgenommene ungewöhnliche und unnötige Investitionen, beispielsweise für Musiker "oder andere extra ordinaire Zierathen", aus der Rechnung zu streichen seien und ihm selbst zur Last gelegt werden sollten. Solche Dinge bedurften der vorherigen Absprache mit den anderen Vorstandsmitgliedern.
Der Brudermeister kümmerte sich um die Eintreibung der "Bruderschaftsrenten". Das waren zum einen die Zinseinkünfte, zum anderen die Pachteinnahmen von Ländereien und Gärten (siehe folgendes Kapitel). Er kümmerte sich vermutlich auch um den Verkauf des eingenommenen Getreides. Für seine umfangreichen Aufgaben erhielt der Brudermeister im 18. Jahrhundert ein bestimmtes Jahresgehalt. Ende des 17. Jahrhunderts wurde er noch in Naturalien, also Getreide, bezahlt.[64]
Auch der Schützenkönig gehörte dem Vorstand an. Wie der Brudermeister war er laut Statuten verpflichtet, eine Jahresrechnung über die Einnahmen und Ausgaben der Schützenbruderschaft zusammenzustellen. Deshalb wird manchmal auch er in den Quellen als "Brudermeister" bezeichnet.
Den Posten eines Bruderschafts-"rectors" nahm der Pfarrer wahr.[65] Er war möglicherweise der Vorsitzende der Bruderschaft, also des "religiösen Teils" der Vereinigung. Vielleicht ist seine Funktion aber auch mit der des heutigen "Präses" vergleichbar. Neben der Abhaltung der zahlreichen Bruderschaftsmessen ist über seine Aufgaben lediglich überliefert, dass er bei der Durchsicht der Rechnungen anwesend war.
Ihm zur Seite stand der Bruderschafts-"Pra(e)fectus". Er scheint der Vorsitzende der Schützengilde, also des "weltlichen Teils" gewesen zu sein. Seine Funktion war offenbar die eines Repräsentanten und Vermittlers. Er vertrat die Vereinigung gegenüber dem Domkapitel.
Im September 1770 wurde der Amtmann zum Bruderschafts-Präsidenten ernannt.[66] Er nahm danach zwar bis Anfang der 1780er Jahre regelmäßig an der Besprechung der Bruderschaftsrechnungen teil, eine eigentliche Aufgabe im Vorstand hatte er aber wohl nicht. Man könnte ihn mit einem heutigen "Ehrenvorsitzenden" vergleichen. Die Einführung des Postens stand vermutlich in Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen dem Magistrat und der Bruderschaft um die Vogelstange (s.u.). Vielleicht erhoffte man sich dadurch für die Zukunft eine bessere Kontrolle.
Ein weiterer Funktionsträger, der aber wohl nicht dem eigentlichen Vorstand angehörte, war der Bruderschafts-"Fendrich". Er war nicht identisch mit dem Stadt-Fendrich. Seine Aufgabe war die Sorge um die Königskette. Er überreichte sie dem Schützenkönig und brachte sie später wieder an einen sicheren Ort zur Verwahrung.[67] Über weitere Aufgaben ist nichts bekannt. Sicherlich trug er – entsprechend der eigentlichen, historischen Aufgabe des Fähnrichs – im Schützenzug auch eine Fahne. Mehrfach wird in den Quellen zudem ein Bruderschafts-Hauptmann erwähnt.[68] Der Schützenzug war also offenbar bereits ganz ähnlich den heutigen Schützenzügen militärisch strukturiert.
Der Vorstand hatte eine große Verantwortung gegenüber den Mitgliedern. Ein etwas unsensibler Führungsstil konnte leicht Unzufriedenheit in den Reihen der Mitglieder hervorrufen. Aber wohl nur selten dürften Mitglieder so heftig reagiert haben wie ein "Bruder" im Jahr 1705: Der Brudermeister Heinrich Cratz hatte in dieser Zeit die Bierration als Sparmaßnahme für einen neuen Sebastianus-Altar heruntergesetzt. Der "zimblich bekannte" Bruder Johannes Schimmelpfennig, der wie Cratz dem Stadtrat angehörte, war darüber sehr verbittert. Er erschien deshalb nicht zum Rechenschaftsbericht im Haus des Pfarrers, zu dem er eingeladen worden war. Seine Verärgerung wurde noch größer, als er kurz darauf hörte, der Brudermeister sei auf dieser Versammlung aufgrund seiner vorbildlichen Arbeit erneut für den Posten vorgeschlagen worden.
Bei der Sebastianus-Messe, dem höchsten Fest der Bruderschaft, das wenig später stattfand, konnte Schimmelpfennig seine Wut nicht mehr halten: Nach dem Hochamt setzte er in der Mitte der Kirche zu einer regelrechten "Schimpfkanonade" vor den zahlreichen Mitgliedern und dem Geistlichen an. Wild gestikulierend schimpfte er über die geplante Wiederwahl des Brudermeisters und dessen Geldwirtschaft, konkreter: dass aus wenigen und kümmerlich zusammengesparten Mitteln ein neuer Altar zu Ehren des heiligen Sebastianus gekauft werde und dass diese Mittel nicht zum "gewöhnlichem Versauffen" verwendet würden. Zudem warf er den Leuten, die sich für die Wiederwahl des Cratz ausgesprochen hatten, Geiz vor. Daraufhin ging er zum Brudermeister, um ihm von Angesicht zu Angesicht wegen genau der Eigenschaften Vorhaltungen zu machen, die die Entscheidung für den Vorschlag zur Wiederwahl bestimmt hatten. Schließlich entriss er dem Vorstandsmitglied das Bruderschaftsbuch und ging mit einem Großteil der Mitglieder, die er offenbar mit seinem beeindruckenden Auftritt weitgehend überzeugt hatte, zu sich nach Hause, wo demonstrativ gemeinsam mehrere Ahmen Bier "darauff gejagt" wurden. Wenig später erfuhr der Schultheiß Georg Matthias Nolden über den Vorfall und reagierte prompt. Drei Tage nach den Geschehnissen verfasste er eine Verordnung, wonach Schimmelpfennig unter Androhung einer Strafe von 10 Goldgulden befohlen wurde, noch am selben Tag das Bruderschaftsbuch Heinrich Cratz zukommen zu lassen und sich von weiteren "bösen Anstiftungen undt unverantwortlichen Verfahren zu enthalten".[69]
Da der Vereinsfriede gefährdet war, erforderten die Ereignisse ein strenges Vorgehen des Schultheißen. Es kann davon ausgegangen werden, dass Schimmelpfennig der Aufforderung unverzüglich Folge geleistet hat, um der hohen Geldstrafe zu entgehen. Für ihn blieb damit trotzdem die Demütigung vor dem verhassten Brudermeister und den anderen Mitgliedern.
Das Schreiben des Schultheißen liefert eine plausible Erklärung für die ungewöhnlich heftige Reaktion des Schimmelpfennig und macht deutlich, dass sie nicht nur einer bloßen Freude am Biertrinken entsprang: Es wird betont, dass dessen eigentliches Interesse "seines eigenen Nutzens halber" in "Bierzapfen" bestand. Schimmelpfennig war also Betreiber einer Schankwirtschaft – wer auch sonst hätte eine so große Personenzahl mit mehreren Ahmen Bier bewirten können? Der Sparkurs des Brudermeisters bedeutete für den Kneipier offenbar eine erhebliche wirtschaftliche Einbuße. Es ist jedoch besonders bemerkenswert, wie bereitwillig sich ein Großteil der Mitglieder dem "Aufständischen" anschloss und mit ihm zog, anstatt – wie es von einem gläubigen Bruderschaftsmitglied zu erwarten wäre – angesichts der beinahe gotteslästerlichen Umstände Protest zu erheben.
Die Einkünfte und Ausgaben
Ohne geregelte Finanzen ist keine Schützenvereinigung lange lebensfähig. Das war auch im 18. Jahrhundert so. Bei der Sebastianus-Schützenbruderschaft lässt sich eine bei Bruderschaften der Frühen Neuzeit weitverbreitete Form der Finanzwirtschaft feststellen:
Zahlreiche Jahresrechnungen sind erhalten geblieben, die älteste ist von 1672/73. Diese Rechnungen waren ursprünglich in zweifacher Ausfertigung vorhanden, vom Brudermeister und vom Schützenkönig. Im 17. Jahrhundert fand die Rechnungslegung noch am Sebastianustag im Beisein aller Mitglieder statt. Später wurde sie sonntags nach der Besprechung der Kirchenrechnung im Pfarrhaus vor einem besonderen Gremium durchgeführt. In der Regel nahmen im 18. Jahrhundert 7-10 Personen an der Sitzung teil: meistens der Pfarrer oder sein geistlicher Stellvertreter, der Gerichtsschreiber, ein oder zwei Ratsherren, ein oder zwei Schöffen, gelegentlich der Schultheiß, von den 1770er Jahren an regelmäßig der Präfekt und der Amtmann als Präsident, manchmal zwei Gemeinsmänner, selten auch der Bürgermeister und der Schützenkönig. Ein wichtiger Punkt bei der Prüfung war der Vergleich der beiden Jahresrechnungen auf mögliche Abweichungen.
Vermutlich waren fast alle Teilnehmer auch Mitglieder des Schützenvereins, aber Bedingung war es sicherlich nicht. Die Bruderschaft gestattete ihnen, bei der Prüfung Wein für 5 Kölner Gulden auf Vereinskosten zu verzehren. Dies machte die Arbeit zwar für die Teilnehmer recht angenehm, war aber auch eine deutlich Belastung für die Vereinskasse. 1770 scheint man die Tradition abgeschafft zu haben, jedenfalls tauchen die Weinkosten ab da nicht mehr in den Rechnungen auf. Vielleicht war ein Grund, dass die Besprechungen ab 1770 für einige Jahre beim Amtmann "aufm Schloss" stattfanden, wo die Bewirtung möglicherweise kostenfrei war. Solche Gelage aus Anlass der Rechnungslegung standen jedoch im 18. Jahrhundert bereits allgemein unter starkem Beschuss, nicht nur von Seiten der Obrigkeit, und wurden sogar als Diebstahl am Bruderschaftsgut und große Sünde angesehen.[70]
Dies soll jedoch nicht den Eindruck erwecken, die Einkünfte der Bruderschaft wären gering gewesen: Die Verpachtung von Ackerland und Gärten beispielsweise warf Einiges ab. Um 1800 besaß die Bruderschaft neben dem Morgen Wiesen, der dem Schützenkönig kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, 14,5 Morgen und 13 Ruten Ackerland und einen halben Morgen Garten. Dabei sind verschiedene Möglichkeiten denkbar, wie die Vereinigung in den Besitz des Landes gelangt sein könnte: Einerseits konnte die Bruderschaft Land aufgekauft haben, um die Einnahmen zu erhöhen. Beispielsweise wurde um 1775 der von Kurfürst Clemens August geschenkte goldene Königsschild vom Präfekten Johann le Bruin meistbietend verkauft. Mit dem Erlös in Höhe von 160 Reichstalern besorgte die Bruderschaft einen halben Morgen Wiesen für 152 Taler und einen kupfernen "Ersatzschild" für 5 Taler.[71] Andererseits könnte Land der Bruderschaft als mildtätige Gabe, also als Stiftung oder Schenkung, oder zur Begleichung von Schulden übereignet worden sein.
Die Pacht des Ackerlandes wurde in Roggen bezahlt, die Gartenpacht in Form einer "Wachsgeld"-Abgabe, also in Münzen. Die Bezeichnung "Wachsgeld" weist auf den besonderen Verwendungszweck dieser Einnahme (Kerzen für den Sebastianusaltar) hin. Möglicherweise geschah die Bezahlung der Gartenpacht ursprünglich direkt in Wachs. Nach einer Ordnung aus dem Jahr 1772 wurden die Grundstücke jeweils auf 12 Jahre vergeben. Dabei war es den Pächtern verboten, das Land oder den Garten unterzuverpachten. Die Bruderschaft behielt sich ausdrücklich vor, den Pachtvertrag vor Ablauf der Pachtdauer "ohne die mindeste Einrede" aufzulösen und das Land umgehend einem anderen Pachtinteressenten zur Verfügung zu stellen, "würde ein Liefer- und Zahlungs-Termin den anderen erreichen" oder würde "Landt und Garten [nicht] in guthem Baw und Beßerey gehalten".[72] Es kam aber auch vor, dass der Verein aus Rücksichtnahme auf einen ungewöhnlich geringen Ernteertrag auf einen Teil der Naturalienleistung verzichtete. So bat beispielsweise Bürgermeister Wilhelm Schmitz im Januar 1785 erfolgreich um einen Nachlass, da das Land "bey jüngerer vorig jährigen Eißfahrt der gestalten verwüstet worden".[73]
Relativ hoch waren auch die Zinseinnahmen von Schuldnern. Zu einer Zeit, in der es noch keine Banken im heutigen Sinne gab, war der Gang zu einer Bruderschaft eine Möglichkeiten, Geld aufzunehmen. Diese Kapitalgeschäfte, die auch als Renten- oder Obligationsgeschäfte bezeichnet werden, sind in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung nicht zu unterschätzen. Es handelte sich um unbefristete Anlagen oder Ewigzinse. Der Schuldner konnte das Schuldverhältnis jederzeit durch die Erstattung der vollständigen ihm ausgezahlten Summe beenden (eine sukzessive Teilerstattung hingegen war nicht möglich). Um 1800 schuldeten der Sebastianus-Bruderschaft 13 Personen insgesamt 555 Reichstaler 9 Silbergroschen und 3 Stüber. Die Bruderschaft war also – auf die örtlichen Verhältnisse bezogen – ein nicht unbedeutender Kapitalgeber. Der Zinssatz lag auf dem zu der Zeit üblichen Niveau von 5 Prozent.[74] Ziemlich hoch waren zeitweise auch die Einnahmen aus den Eintrittsgeldern.
Auf der Ausgabenseite fallen die Bierkosten deutlich am stärksten ins Gewicht. Es folgen die Gehaltszahlungen für Pfarrer, Küster und Brudermeister und schließlich die Ausgaben für die Kerzen. Als man 1776 die Bruderschaftsrechnung durchsah, stellte man einen beunruhigenden Kassenstand fest. Der Grund war der, dass das Bier, das normalerweise der Schützenkönig bezahlte, seit einigen Jahren der Bruderschaft in Rechnung gestellt worden war. Die Anwesenden waren einhellig der Meinung, die Vereinigung könne sich nicht versichern, "daß sie in künftigen Zeiten nicht in einen mercklichen Schulden Last geraten dörfte". Daher entschied man, den Bieranteil künftig wieder vom Schützenkönig bezahlen zu lassen.[75] Vermutlich waren die Mehrausgaben auch der Grund für den bereits mehrfach erwähnten Verkauf des Schützenschildes von Kurfürst Clemens August gewesen.
Im Zusammenhang mit dem Streit um die Vogelstange 1770 bestimmte das Generalvikariat durch besiegelte Urkunde (vom 19. April 1770), dass keine Güter oder Gerätschaften der Bruderschaft (Äcker, Gärten, die Schützenkette usw.) ohne Genehmigung des Vorstandes (Pfarrer, Bruderschafts-Präfekt, Brudermeister und Schützenkönig) vermietet oder verkauft werden durften. Die Jahresrechnungen seien ausschließlich im Pfarrhaus aufzubewahren.[76] Daraus ist zu folgern, dass die Vermögensangelegenheiten der Bruderschaft in gewissem Maße auch unter obrigkeitlicher Kontrolle standen – vor allem, wenn, wie in diesem Fall, die öffentliche Ordnung auf dem Spiel stand.
Die Mitglieder
Anzahl und Zusammensetzung
Die häufige Erwähnung der Sebastianus-Schützenbruderschaft in den Aufzeichnungen des Zonser Küsters Johannes Peter Schwieren zeigt, welch hohen Stellenwert die Vereinigung im Leben der Stadt und des Amtes hatte. Hierfür spricht auch die Zahl der Mitglieder: Als der genannte Küster im Juni 1744 die Namen aller lebenden Bruderschaftsmitglieder in ein neues Buch übertrug, zählte er 373 Personen.
Bedingung für die Aufnahme war der katholische Glaube. Da der Anteil Andersgläubiger in der Zollfeste jedoch gegen Null ging, hatte dies keine besonders ausschließende oder diskriminierende Wirkung. Um Mitglied zu werden, musste eine einmalige Aufnahmegebühr von 20 Albus gezahlt werden (zum Vergleich: Nach Schwieren bekam man im September 1741 in Zons dafür fünf Pfund Rindfleisch oder etwas weniger als zwei Pfund Butter)[77]. Zwischen etwa 1650 und 1800 blieb dieser Betrag, unbeeinflusst von Geldauf- und -entwertungen, gleich. Im Verhältnis zur Gegenleistung waren 20 Albus wenig: Mitgliedschaft auf Lebenszeit, kostenlose Teilnahme an den regelmäßigen Festveranstaltungen mit freier Zeche, die Garantie eines würdigen Begräbnisses durch die Mitbrüder und -schwestern, verbunden mit einer Gedächtnismesse und der Aufstellung einer Kerze auf dem Sebastianus-Altar u.a. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Reiche in der Regel freiwillig deutlich höhere Eintrittsgelder zahlten.
1750 waren knapp 16 % der Mitglieder weiblichen Geschlechts.[78] Die Frauen nahmen nicht an den Schießwettkämpfen und Umzügen teil, dafür aber an den Messen und den anderen Festveranstaltungen einschließlich der Gelage. Im Anschluss an die Sebastianus-Messe mussten sie – wie erwähnt – die erste Maß Bier holen. Wie in anderen Orten hatten die Frauen wohl in erster Linie religiös-karitative Aufgaben (Krankenbesuche, Schmücken des Sebastianus-Altars usw.). Es handelte sich nicht nur um die Ehefrauen von Schützenbrüdern, sondern es traten zu einem nicht unerheblichen Teil auch Ledige und Witwen der Vereinigung bei.
Das Eintrittsalter war sehr uneinheitlich. Eine stichprobenartige Untersuchung des Mitgliederverzeichnisses von 1750 (33 Frauen, 32 Männer) ergab bei Frauen eine Spanne zwischen 14 und 81, bei Männern zwischen 5 und 66 Jahren. Es gab also offenbar keine Altersbeschränkungen hinsichtlich der Mitgliedschaft, woraus sich aber keinesfalls Rückschlüsse beispielsweise bezüglich der Teilnahme an den Schießwettkämpfen oder Gelagen ziehen lassen. Für besonders junge oder alte Neumitglieder bildete zweifelsohne das religiöse Bruderschaftsleben den entscheidenden Motivationsschub zum Beitritt.
Noch bunter wird das Bild, wenn man sich die Wohnorte der Mitglieder anschaut, die bei 349 (von 404) Personen angegeben sind. Selbstverständlich wohnten die meisten Mitglieder in Zons. Aber immerhin 36 % hatten ihren Wohnsitz außerhalb. Davon entfielen auf Stürzelberg 13 %, gefolgt von Dormagen mit 4 %. Es seien hier nur ein paar weitere Orte genannt, um einen ungefähren Eindruck von der bemerkenswerten Ausdehnung des Einzugsbereichs, der sich über mehrere Territorien erstreckte, zu vermitteln: In der Liste der Neumitglieder sind neben den genannten Orten u.a. auch Köln, Baumberg, Rheinberg, Uerdingen, Andernach, Hülchrath, Anstel, Uedesheim und Neuss mit jeweils mindestens einer Person vertreten. Auffälligerweise handelt es sich zum Teil um Orte mit eigener langer Schützentradition. Es ist zu vermuten, dass es sich bei diesen Mitgliedern zum Teil um Verwandte von Zonser Einwohnern handelte. Darauf deutet die relativ häufige Namensgleichheit hin. Ferner könnten auch engere berufliche Beziehungen nach Zons eine Rolle gespielt haben.
In großen Städten gab es häufig mehrere Schützenvereine. Es kam dadurch in der Regel zu einer sozialen Abgrenzung: In einem Verein trafen sich die Angehörigen der städtischen "Elite", in einem anderen die weniger Betuchten. Die Kleinstadt Zons hatte im Gegensatz dazu mit ihren lange deutlich unter 1.000 Einwohnern nur einen Schützenverein. Folglich waren in der Mitgliederschaft sehr unterschiedliche Sozialschichten vertreten, wenn auch einschränkend zu betonen ist, dass die Spanne zwischen Arm und Reich in der Zonser Bevölkerung kleiner als in einer Großstadt und mit gröberen Abstufungen war. Genau betrachtet reichte das soziale Spektrum in der Sebastianus-Schützenbruderschaft vom Tagelöhner bis hinauf zum Kurfürsten. Den Hauptanteil und den eigentlichen aktiven Kern bildete aber zweifelsohne – entsprechend der Einwohnerschaft – der untere ländliche Bereich und das Kleingewerbe, während der Anteil von Personen höheren Standes sehr gering war. Eine scharfe Trennung innerhalb der Schützenbruderschaft zwischen Junggesellen und Bürgern in dem Sinne, dass sie zwei nahezu selbständige Gruppierungen bildeten, wie es für zahlreiche andere Städte nachgewiesen ist, ist für Zons nicht festzustellen, doch scheinen in Zons die Junggesellen aus naheliegenden Gründen vom Königsvogelschießen ausgeschlossen worden zu sein, so dass sie sich – worauf die Quellen hindeuten – entsprechend stärker in kleineren Wettschießen engagierten.
Eine besondere, herausgehobene Gruppe unter den Mitgliedern waren die Zollbeamten als Angehörige der oberen Zonser Gesellschaftsschicht. Sie nahmen nicht nur bevorzugt die wichtigen Funktionen im Vereinsvorstand wahr, sondern bildeten auch bei den Schützenumzügen eine besondere Einheit, wobei sie den König in ihre Mitte nahmen (siehe Bericht von Johann Baptist Fuchs). Gelegentlich traten auch Personen aus dem niederen oder höheren Adel der Sebastianus-Schützenbruderschaft bei. Sie wurden mit dem gehörigen Respekt behandelt und angehalten, sich eigenhändig in das Bruderschaftsbuch einzuschreiben. Das Buch war damit gleichzeitig ein besonderes Vorzeige- und Prestigeobjekt der Vereinigung, ja sogar der Stadt, und es ist wohl nicht ganz abwegig, in dem Folianten so etwas wie ein "goldenes Buch" (im moderneren Sinne) zu sehen, in dem sich die Prominenz anläßlich ihres Besuchs in der Zollfeste verewigte. Dies macht erneut deutlich, wie sehr sich der Ort letztlich mit seiner Schützenbruderschaft identifizierte. Es seien hier als Beispiel nur ein paar Personen genannt, die sich 1750/51 eingeschrieben haben: Johann Anton von Helmoes, Hauptmann des Kaisers; Maria Franziska, Fürstin zu Elten, Pröpstin zu Vreden, Gräfin zu Manderscheid-Blankenheim; Maximilian Friedrich, Graf zu Königsegg; Maria Franziska, Comtesse de Fugger.
Repräsentation und Stadtverteidigung
Kaum eine andere Vereinigung war in gleicher Weise geeignet, Würde, Ansehen und Selbstverständnis einer Stadt und ihrer Einwohner zu verkörpern, wie eine Schützengesellschaft. Gerade in diesem Licht zeigt sich die besondere Bedeutung der uniformierten und bewaffneten Umzüge. Es ist kaum verwunderlich, wenn an erster Stelle die Schützen hohem Besuch die Aufwartung machten. So statteten die Zonser Traditionshüter im Mai 1739 Kurfürst Clemens August auf besonders liebenswürdige Weise einen Besuch ab (siehe oben).
Sehr feierlich und aufwendig war manchmal auch die Begrüßung des Amtmanns in der Zollfeste: Im Februar 1750 besuchte Joseph Maria Sigismund von Königsegg-Rothenfels für mehrere Tage Zons. Er wurde "in Auffziehung der Bürger und Jungengesellen unter Lösung der Canonen" empfangen. Nachdem ihn die Bürger und Junggesellen durch einen erneuten Aufzug kurz vor der Abreise verabschiedet hatten, bedankte er sich auf besondere Weise und schenkte 2 "Pistolen" (eine Währung) in Gold (eine Pistole entsprach 5 Reichstalern).[79] Wenn in der Schilderung auch nicht ausdrücklich von den Sebastianus-Schützen die Rede ist, kann man dennoch annehmen, dass in erster Linie sie bei diesem besonderen Verabschiedungszeremoniell hervorgetreten sind, denn ihnen waren "Aufzüge" sicherlich vertrauter als Nicht-Schützen, vorausgesetzt, es ist mit der Bezeichnung nicht die bloße, unformierte Versammlung der Menschen gemeint.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Rolle der Sebastianus-Schützen im Rahmen der Stadtverteidigung und -bewachung. Um diese angemessen verstehen und beurteilen zu können, muss zunächst das Wesen des Wachtdienstes in der Zollfeste etwas eingehender betrachtet werden: Schon früh gab es Initiativen der Obrigkeit zur Förderung der bürgerlichen Wehrfähigkeit des Amtes Zons. 1469 verzichtete beispielsweise Erzbischof Ruprecht von der Pfalz auf die Schatzung, um den Bürgern die Rüstung für den Verteidigungsfall zu ermöglichen. Für die Besoldung der wenigen Stadtschützen mussten die Bürger in Form einer geringen Steuer, des sogenannten Wachtgeldes, aufkommen (1528 für Zons belegt). Dies befreite die Bürger jedoch nicht von der Pflicht, selbst aktiv am Wachtdienst teilzunehmen. Laut einer Wachtordnung von 1590 waren dazu sämtliche Bürger mit Ausnahme der Zollbeamten und des Müllers verpflichtet. Die Ratsherren genossen ebenfalls einen Sonderstatus. Ihnen oblag neben dem Schlosswachtmeister die Aufsicht. Die Organisation der Wache war militärisch. So gab es einen Hauptmann, der der gesamten, zum Wachtdienst verpflichteten Bürgerschaft vorstand (1718 erstmals belegt), und einen Stadtfendrich (1712 erstmals belegt).
Die Wachtordnung von 1590 erwähnt, dass die Bürger zunächst mit ihrer Waffe gemustert wurden. Im Anschluss erfolgte die Gruppeneinteilung. Auch die Stürzelberger mussten zur Musterung erscheinen, hatten aber nur im Notfall neben ihren Zonser Kollegen Wache zu schieben. Die Wachgruppen kamen auf dem Markt zusammen, um sich anschließend auf die verschiedenen Posten (Mühle, Feldtor, Krötschenturm und ein weiterer) zu verteilen. Die Zahl der wachehabenden Bürger war in Friedenszeiten gering. Im Vordergrund stand dann der Schutz vor Brand und Dieben. 1604 wurden 6 Personen am Rheintor und 5 Personen am Feldtor mit jeweils zusätzlich einem Ratsherrn als Aufseher eingesetzt. Ende des 18. Jahrhunderts mussten sich die Bürger nach einer Wachtordnung von 1790 nur noch um die Bewachung des Feldtores kümmern, während der andere Posten, das Rheintor, von den Stadtsoldaten bewacht wurde.
Verständlicherweise waren die Bürger wenig erfreut, wenn sie zu diesem lästigen und dazu auch noch unbezahlten Dienst, der bei der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung offenbar nicht das Ansehen einer ehrenvollen Tätigkeit hatte, eingeteilt wurden. Entsprechend standen sie dieser Aufgabe häufig recht unmotiviert gegenüber. So kam es beispielsweise gelegentlich vor, dass ein Wachtmann den erholsamen Schlaf daheim vorzog und sich von einem Kind vertreten ließ. Solcherlei Pflichtverletzungen wurden jedoch sehr streng bestraft. Je nach Schwere des Vergehens drohte die Inhaftierung (Kerker), eine empfindliche Geldstrafe oder der Einzug des Gewehres. An der besonderen Härte der Sanktionsformen zeigt sich einerseits die zweifelsohne große Bedeutung des Dienstes zur Aufrechterhaltung eines gewissen städtischen Sicherheitsstandards, zum anderen aber auch, welch besonderer Mittel es bedurfte, die Bürgerschaft für diese Aufgabe ausreichend zu motivieren. Von anderen unbezahlten Pflichten der Bürger war bereits oben die Rede gewesen.
Die besondere Funktion der Sebastianus-Schützen wird in einer Wachtordnung von 1560 ausgedrückt: Sie kamen zwar wie die übrige Bevölkerung in den Rotten zum Einsatz. Man legte jedoch besonderen Wert darauf, dass sie in erster Linie die strategisch wichtigsten Posten, also die Stadttore, bewachen sollten. Sie hatten demnach aufgrund ihrer Übung im Gebrauch der Schusswaffen eine besondere Aufgabe. Schriftlich festgelegt, war sie zugleich offiziell anerkannt bzw. erwünscht. Die Bedeutung der Schützen ging jedoch nicht so weit, dass sie eine eigenständige Verteidigungseinheit bilden konnten. Da die Empfehlung in der Wachtordnung zudem zwar zu beachten, aber nicht bindend war, spricht Hansmann (1973) in diesem Zusammenhang zurecht von einer "halb-offiziellen Stellung" der Sebastianus-Schützen. Es ist aber wohl – auch bei dieser besonderen Rolle – kaum anzunehmen, dass die Schützenvereinsmitglieder dem Wachtdienst wesentlich motivierter gegenüberstanden als die übrige Bevölkerung. Die heute weit verbreitete Vorstellung, bei den Gildeschützen früherer Zeiten habe es sich um Bürger und Junggesellen gehandelt, die, mit besonderen soldatischen Tugenden und einem außergewöhnlichen Pflichtbewusstsein ausgestattet, als quasi-militärische Korporation in sehr verdienstvoller Weise für die Sicherheit der Städte eintraten, und das nicht nur in Notzeiten, ist auf die Zonser Verhältnisse der Frühen Neuzeit also wahrscheinlich nicht übertragbar.
Der Untergang der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft
Mit dem Einmarsch der Franzosen 1794 begann der allmähliche Untergang der Vereinigung. Am 5. Oktober 1794 zogen erstmals französische Soldaten plündernd durch Zons.[80] Wenige Wochen später, am 23. November, gingen zwei Herren "in Sachen der Bruderschaft" nach Köln, höchstwahrscheinlich zum Domkapitel.[81] In Anbetracht der sich verändernden Machtverhältnisse ging es bei diesem Besuch wohl in erster Linie um das Weiterbestehen der Schützenbruderschaft. Wie gerechtfertigt die Sorge war, sollte in der folgenden Zeit deutlich werden.
Es sind zwar keine Verordnungen der französischen Besatzung bekannt, die sich direkt auf die Schützenbruderschaften des Gebietes beziehen. Doch lässt das Verhalten der Zonser Schützenbruderschaft in den Jahren nach 1794 zweifelsfrei erkennen, dass die Franzosen das Vereinsleben massiv beeinträchtigten. Wenige Monate vor der Besetzung hatte die St. Sebastianus-Schützenbruderschaft das letzte Königsvogelschießen veranstalten können. Nach 1794 fanden keine Vogelschießen mehr statt, so dass also das Zonser Schützenbrauchtum mit der Besatzung ein Ende gefunden hatte. Vermutlich hatte die nach Kriegen allgemein übliche Entwaffnung der Bevölkerung dazu geführt, möglicherweise aber auch ein Verbot öffentlicher Veranstaltungen und Aufzüge, Tanzlustbarkeiten u.ä. Gleichzeitig stellte die Schützenbruderschaft auch ihre Gelage ein. Da die Pacht- und Zinsverträge weiterhin gültig waren, führte dies in den folgenden Jahren zu einem beträchtlichen Einnahmen-Überschuss.
Das religiöse Bruderschaftsleben und die sonstigen Vereinsgeschäfte liefen zunächst recht ungestört weiter. Von 1798 an tranken die Mitglieder am Sebastianustag sogar wieder die üblichen 3 Ahmen Bier. Doch das Jahr 1802 brachte das (formelle) Ende der Vereinigung. In diesem Jahr ließen sich – von einer Ausnahme abgesehen – letztmals Neumitglieder in das Bruderschaftsbuch einschreiben, und 1801/02 feierte die Vereinigung das letzte Mal den Sebastianustag auf die traditionelle Weise.[82] Die Vereinsgeschäfte brachen zu diesem Zeitpunkt ab. Der Grund dürfte in dem immer vehementeren Vorgehen der Franzosen gegen religiöse Organisationen außerhalb der Pfarrkirchen durch Verbote und andere Maßnahmen zu suchen sein, das seinen Höhepunkt in den Jahren 1803-1813 in dem Verkauf geistlichen Eigentums (in Zons u.a. der Zehnthof und das Franziskanerkloster) fand. Wie es auch in anderen Orten geschah, beispielsweise in Nievenheim, übertrug die Zonser Schützenbruderschaft ihr Eigentum sowie die Pacht- und Zinseinkünfte heimlich an die Pfarrkirche, um sie vor dem Zugriff durch die Besatzungsbehörde zu schützen, was im Übrigen auch die Zonser Liebfrauen-Bruderschaft tat. Die Kirche veranstaltete als Gegenleistung weiterhin Sebastianus-Messen für die Mitglieder der Bruderschaft und stellte Kerzen für Verstorbene auf den Sebastianus-Altar. 1806 wurde noch monatlich die Sebastianus-Messe gelesen.[83] In den Jahren zwischen 1811 und 1816 erhielt der Küster Johannes Hermann Schwieren aus der "St. Sebastiani fondation" der Kirchenkasse regelmäßig Geld für "Unschlitts-Kertzen in festo Sti. Sebastiani und für die verstorbenen Brüder und Schwester[n]".[84] 1814 tauchen sogar plötzlich zwei neue Namen in dem Mitgliederverzeichnis auf: Für den 27. Januar des Jahres sind die Neumitglieder Adam Ankenbrand, Kaplan an St. Martinus Zons, und eine Einwohnerin aus Horrem verzeichnet; Ankenbrand hat den Eintrag vermutlich selbst vorgenommen. Es hat den Anschein, als habe der Kaplan zu diesem sicherlich nicht ungünstigen Zeitpunkt – nur wenige Tage nach dem Abmarsch der Franzosen – den Versuch unternommen, die Vereinigung wieder zum Leben zu erwecken oder zumindest dem allmählichen Erlöschen der Bruderschaft entgegenzuwirken – ein vergeblicher Versuch, denn in den Rechnungen der Pfarrkirche tauchen bereits nach 1816 keinerlei Ausgaben im Zusammenhang mit der Bruderschaft mehr auf. Dieses Jahr markiert also den Zeitpunkt des endgültigen Erlöschens der Vereinigung. Insgesamt gesehen kann man somit von einem allmählichen, sich über 22 Jahre hinziehenden Untergang der Sebastianus-Schützenbruderschaft sprechen.
Es liegen keine Quellen vor, die auf Bemühungen – etwa von Seiten ehemaliger Mitglieder – schließen lassen, das Vereinsvermögen zwecks Neugründung der Schützenbruderschaft von der Pfarrkirche zurückzuerhalten. Vermutlich beruhte dies aber weniger auf mangelndem Interesse als auf Hoffnungslosigkeit, denn im nahegelegenen Nievenheim beispielsweise sind die Einwohner in den 1830er Jahren mit diesem Vorhaben gescheitert.[85]
Die Pfarrkirche sah sich in Preußischer Zeit als uneingeschränkten Eigentümer des ehemaligen Bruderschaftvermögens, wenn sie diesen zweifelhaften Rechtsanspruch auch nach außen nicht sehr vorbildlich vertrat: Im Mai 1828 forderte das Kölner Generalvikariat vom Kirchenvorstand binnen 14 Tagen "eine ganz specificierte Nachweisung des sämmtlichen zur Bruderschaft des hl. Sebastianus gehörigen Vermögens" und dabei zu vermerken, "welche Einkünfte derselben von Seiten des Kirchenvorstandes erhoben und verrechnet werden, welche dagegen noch nicht von der Kirche verwaltet werden, und wer deren Verwaltung und Verwendung besorgt".[86] Der Kirchenvorstand, der offenbar um einen nicht unerheblichen Teil der Einnahmen fürchtete, antwortete, alle Äcker bzw . Gärten stünden nicht unter der Verwaltung der Kirche, sondern wären "bekanntlich verkauft" worden, "und die dafür gelösten Gelder sollen in die Communal Casse geflossen seyn". Nur die "Vogelswiese" wäre angeblich damals nicht veräußert worden.[87] – Hätte ein Vertreter des Generalvikariats 1828 oder zu einem späteren Zeitpunkt einen Blick in die Schriftdokumente des Pfarrarchivs werfen können, wäre der Schwindel rasch aufgeflogen, denn in den Kirchenrechnungen finden sich sogar noch 1835 Randvermerke, die verschiedene Grundstücke der ehemaligen Sebastianus-Schützenbruderschaft zuschreiben.[88]
Anhang
Schützenkönige der Vereinigung
Das folgende Verzeichnis basiert auf den Aufzeichnungen in den Bruderschaftsbüchern Nr. 227 und 228 im Pfarrarchiv St. Martinus Zons und in den Schwieren-Chroniken.
- 1664: Gottfried Rohrmund
- 1669: Johann Becker
- 1672: Johann Becker
- 1676: Heinrich Rüremund
- 1686: Michael Hilden
- 1687: Georg Matthias Nolden
- 1699: Johann Baum
- 1700: Peter Brosse
- 1710: Wolter Schwidden
- 1711: Wolter Schwidden
- 1712: Theodor Genneper
- 1714: Laurenz Häring
- 1715: Laurenz Häring
- 1716: Christian Mathias Suvaege
- 1717: Laurenz Häring
- 1718: Gerhard Steltzmann
- 1721: Johann Weber
- 1722: Laurenz Häring
- 1723: Gerhard Steltzmann
- 1724: Gerhard Nolden
- 1725: Theodor Hüsch
- 1726: Johannes Pesch
- 1726: Paul Meyer
- 1727: Heribert Endenich
- 1728: Wilhelm Sand
- 1730: Heribert Endenich
- 1730: Theodor Falckenberg
- 1732: Conrad Spelt
- 1732: Peter Nolden
- 1733: Schild mit einem Kreuz und den Initialen "J. S."
- 1733: Schild mit der Inschrift "A. M. D. Eheleuthe"
- 1734: Christian Gymnich
- 1735: Cornelius Steltzmann
- 1735: Christian Gymnich
- 1736: Christian Gymnich
- 1737: Heribert Endenich
- 1738: Heribert Endenich
- 1739: Kurfürst Clemens August
- 1740: Michael Sturm
- 1741: Johann Heinrich Falckenberg
- 1742: Johann Heinrich Falckenberg
- 1742: Johann Peter Zalffen
- 1743: Franz Arnold Schullmeister
- 1744: Kurfürst Clemens August
- 1745: Johann Koch
- 1745: Heribert Endenich
- 1747: Franz Meuther
- 1749: Josef Eichel
- 1751: Joseph Maria Sigismund von Königsegg-Rothenfels (Amtmann)
- 1754: Heribert Endenich
- 1756: Andreas Kraus
- 1758: Johann Heinrich Falckenberg
- 1762: Heribert Endenich
- 1763: Albert Wentzel
- 1764: Stephan Hütten
- 1766: Albert Wentzel
- 1768: Jacob Fungeling
- 1769: Friedrich Peters
- 1770: Johann Wiertz
- 1771: Joseph Karl Wunibald Erbtruchsess, Domdekan (Amtmann)
- 1772: Joseph Ernst
- 1773: Lucas Busch
- 1774: Johann Bayer
- 1775: Johann Becker
- 1776: Johann Becker
- 1777: Johann Baptist Fuchs (aus Köln)
- 1778: Johann Becker
- 1779: Johann Becker
- 1780: Mathias Ubladen (Baumeister in Bürgel)
- 1781: Andreas Schneider
- 1782: Gerhard Nix (aus Dormagen)
- 1783: Johann Heinrich Schneider
- 1784: Anton Behrens
- 1785: Gerhard Nix
- 1786: Bernhard Stattfeld
- 1787: Johannes Peters
- 1788: Bernhard Stattfeld
- 1789: Heinrich Esser
- 1790: Johannes Verbeck
- 1790: Johannes Verbeck und Jacob Heinemann
- 1791: Gerhard Nix
- 1792: Werner Esser (aus Wevelinghoven)
- 1793: Christian Kirberg (aus Stürzelberg)
- 1794: Heinrich Simons
Belege
- ↑ LAV_NRW_R, KK II, 2145, fol. 9v.
- ↑ LAV_NRW_R, KK II, 2145, fol. 11r.
- ↑ LAV_NRW_R, KK II, 2145, fol. 32v, 33r, 34r.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ Erna, Hans Melchers: Das große Buch der Heiligen – Geschichte und Legende im Jahresablauf, München (4. Aufl.) 1980, S. 54.
- ↑ PfAZ, Nr. 6.
- ↑ PfAZ, Nr. 230.
- ↑ Schwieren-Chr., <263>.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ Schwieren-Chr., <222>.
- ↑ PfAZ, Nr. 557.
- ↑ PfAZ, Nr. 233.
- ↑ PfAZ, Nr. 239.
- ↑ PfAZ, Nr. 6.
- ↑ PfAZ, Nr. 230.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 229.
- ↑ PfAZ, Nr. 229.
- ↑ Schwieren-Chr., <76>.
- ↑ Schwieren-Chr., <78>.
- ↑ Schwieren-Chr., <102>.
- ↑ Schwieren-Chr., <267>.
- ↑ Schwieren-Chr., <277>.
- ↑ Schwieren-Chr., <278>.
- ↑ Schwieren-Chr., <65>.
- ↑ PfAZ, Nr. 6, p. 25.
- ↑ Schwieren-Chr., <232>.
- ↑ Schwieren-Chr., <267>.
- ↑ PfAZ, Nr. 229.
- ↑ PfAZ, 230.
- ↑ Artikel von Josef Lange "Zons bat um Auskunft wegen der Vogelstange", in: NGZ vom 24. August 1985.
- ↑ PfAZ, Nr. 231 und Otten: Zons am Rhein (1903), S. 136f.
- ↑ Siehe hierzu Schwieren-Chr., <987>-<992j>.
- ↑ GStAZ, S. 109f.
- ↑ PfAZ, Nr. 231.
- ↑ Schwieren-Chr., <267>.
- ↑ GStAZ, S. 113.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 231.
- ↑ PfAZ, Nr. 229.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ Schwieren-Chr., <152>.
- ↑ PfAZ, Nr. 231.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 231.
- ↑ Schwieren-Chr., <215>.
- ↑ Schwieren-Chr., <190>-<191>.
- ↑ Schwieren-Chr., <101>.
- ↑ Schwieren-Chr., <115>.
- ↑ Schwieren-Chr., <174>.
- ↑ Schwieren-Chr., <267>.
- ↑ PfAZ, Nr. 230.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ Dietrich Ebeling: Bürgertum und Pöbel – Wirtschaft und Gesellschaft Kölns im 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Stadtgeschichte in Münster, Bd. 26), Köln 1987, S. 173.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 229: Rechnung 1750/51.
- ↑ PfAZ, 227
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 7, p. 116.
- ↑ Julius Heyderhoff: Johann Baptist Fuchs 1757-1827, Erinnerungen aus dem Leben eines Kölner Juristen, Köln 1912.
- ↑ PfAZ, Nr. 230.
- ↑ PfAZ, Nr. 229.
- ↑ PfAZ, Nr. 229.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 230.
- ↑ Bernhard Schneider: Bruderschaften im Trierer Land. Ihre Geschichte und ihr Gottesdienst zwischen Tridentinum und Säkularisation (Trierer Theologische Studien, Bd. 48), Trier 1989, S. 285.
- ↑ PfAZ, 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, Nr. 230.
- ↑ PfAZ, Nr. 230.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ PfAZ, 230.
- ↑ Schwieren-Chr., <161>.
- ↑ PfAZ, Nr. 227.
- ↑ Schwieren-Chr., <243>.
- ↑ Rheinische Dorfchronik.
- ↑ PfAZ, Nr. 229.
- ↑ PfAZ, Nr. 228 und Nr. 229.
- ↑ PfAZ, Nr. 1023.
- ↑ PfAZ, Nr. 1033.
- ↑ Walter M. Plett: Die Schützenvereine im Rheinland und in Westfalen 1789–1939 (Beiträge zur Heimatpflege im Rheinland, Bd. III), Köln 1995, S. 201.
- ↑ PfAZ, Nr. 23.
- ↑ PfAZ, Nr. 148.
- ↑ PfAZ, Nr. 1049.